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Event-Konzeption: „Der rote Faden ist tot, es lebe die Dramaturgie“

Von Katharina Stein 29.1.2014 ~8 Minuten Lesezeit

Richtig spannend wird ein Event erst mit der Dramaturgie, sagt Christoph Kirst. Ein sinnvoller und strukturierter Ablauf, der rote Faden, ist sicherlich nicht unwichtig, aber erst die Überraschung, das Unerwartete oder der bewusste Bruch von Regeln begeistert.

Was Events in diesem Rahmen mit dem Theater gemein haben, warum die Heldeninszenierung häufig eine Gratwanderung ist und welche Trends zu erkennen sind, verrät der Geschäftsführer der Eventagentur Insglück.

» Interview-Reihe aus dem Buch „Alles nur Theater“

Interview: Christoph Kirst, Geschäftsführer insglück mbH, über Dramaturgie in der Live-Kommunikation!

 

Das Interview führte Wolf Rübner, Mitautor des Buches “Alles nur Theater”.

Wolf Rübner: Herr Kirst, Sie sind im Theater und im Event zuhause – da reizt doch ein Vergleich?

Christoph Kirst: Theater war und ist immer auch Event, Live-Kommunikation im besten und wahrsten Sinne des Wortes. Das war schon bei Aristoteles so. Und Theater ist eine Kunstform, die sensibel auf Zeitgeist reagiert. Genau wie Marketing ist gutes Theater am Puls der Zeit oder besser noch ein Stück voraus. Mich reizt es und hat mich auch immer sehr beeindruckt, wenn eine starke emotionale Wirkung über Menschen erzielt wird. Das ist es, was die Bühne kann, was die Live-Situation überhaupt kann. Es menschelt eben. Da macht es wenig Unterschied, ob jemand Comedy spielt, den Hamlet gibt oder eine tolle Rede hält.

Was Event vom Theater übernommen hat – es gibt feste Verabredungen: das Gespielte wird normalerweise auch als Spiel akzeptiert. Wir haben eine Konvention genauso wie im Film, auf die wir uns einlassen, die wir akzeptieren. Was im Theater und im Event dann interessant ist, wenn wir diese Verabredung freier auslegen. Dann wird es spannend. Dann horchen alle auf. Ich habe in meiner Frühzeit eine Operette von Jacques Offenbach inszeniert. Es gibt immer diesen Moment im Musiktheater, da kommt der Dirigent in den Orchestergraben, er hebt seine Hände, alle sind mucksmäuschenstill und dann geht normalerweise die Ouvertüre los. In meiner Inszenierung klingelt genau in diesem Moment ein Handy. Der Dirigent geht selbst ans Telefon und sagt: Du Schatzi, ich kann jetzt nicht. Gelächter im Saal. Aber eine Dame ruft laut „Unverschämtheit, dass der sein Handy nicht ausmacht!“ Von da an lief die Aufführung wie geschmiert. Das Eis war gebrochen, das sind die Momente, die in der Live-Situation äußerst spannend sind. Die Konvention zu brechen, einmal ad absurdum zu führen oder zu negieren, wenn man nicht richtig weiß, gehört das zum Stück oder nicht.

Beim Event gibt es natürlich auch festgefahrene Konventionen, die jeder inhaliert hat. Aber im Grunde möchte jeder Kunde irgendwann, dass man sie sprengt. Wir haben uns als Agentur z. B. in den letzten Jahren sehr viel Expertise darin erarbeitet, die medialen Grenzen zwischen Leinwand und Bühne zu sprengen. Außerdem geht es immer mehr um echte Interaktion zwischen den Teilnehmern. Warum muss man im Meeting immer in der Reihe sitzen und vorne steht einer, der referiert?

WR: Hat insglück als Agentur eine bestimmte Handschrift?

Christoph Kirst: Ja, wir sind eine Agentur, die ganz stark aus der Konzeption/Kreation kommt. Und wir haben einen sehr inszenierungsgeprägten Stil. Markeninszenierung ist für uns der entscheidende Begriff, weil wir auf die emotionale Wirkung abzielen. Wir wissen, dass eine erzählte Geschichte stärker wirkt als ein theoretischer Vortrag. Wir glauben eher an Dramaturgie als an den roten Faden. Als ich angefangen habe damals bei der kogag im Jahr 1999, musste ich mich immer damit herumschlagen, dass es Marketing-Leiter bei großen Automobilkonzernen gab, die gebetmühlenartig nach dem roten Faden verlangten. Ich wusste nie genau, was die eigentlich wollten. Mittlerweile verstehe ich es, aber gutheißen tue ich es trotzdem nicht.

Wenn ich Konzeption lehre, dann sage ich, der rote Faden ist tot, es lebe die Dramaturgie. Warum? Was man will, ist eine Geschichte, einen Zusammenhang, eine Durchgängigkeit… einen Flow erzeugen, der irgendwo anfängt, irgendwo hinführt und irgendwo aufhört. Aber richtig spannend ist es doch erst, wenn es einmal eine unerwartete Wendung gibt, wenn Überraschendes passiert, oder wenn man mittendrin auf einmal die Richtung wechselt. Brüche sind genauso wichtig. Daher predige ich, es lebe die Dramaturgie, von mir aus auch das Storytelling.

WR: Kann man eine Marke als Held inszenieren?

Christoph Kirst: Ja, das passiert eigentlich immer. Sie wollen ja das Produkt immer zum Hero machen. Die Frage ist, wie glaubwürdig bekommt man das hin? Das gelingt vielen nicht überzeugend. Wir Deutsche haben z. B. eine gespaltene Beziehung zum Helden. Wenn wir zu sehr heroisieren, geht das leicht nach hinten los. Und so ist das bei der Produktinszenierung auch.

Beim Auto ist das Produkt per se der Hero, weil es einfach sexy aussieht und die Begehrlichkeit groß ist. Das ist auch gelernt. Bei anderen Produkten tut man sich schwerer. Wie stilisiere ich das Produkt zum Hero? Das ist bei Produkt-Launches ja immer die Aufgabe auch wenn es vermeintlich nicht so sexy ist – das war bei Schindler-Aufzüge auch das Thema.

Ein Aufzug, ein Hubwagen, ein Gabelstapler oder ein Krebsmittel.. was ist das Heroische daran? Sie müssen den Punkt finden, wo ist der USP, wo kann ich ansetzen? Aber es muss auch im Verhältnis zu dem stehen, was das Produkt darstellt, vielleicht braucht es ein Augenzwinkern, einen distanzierten Blick oder eine bestimmte Erzählweise. Wenn Sie überziehen, dann bekommen Sie das ganze Gegenteil. Dann ist es nicht glaubwürdig, und der Held wird leicht zur Witzfigur.

Man hat deshalb ganz häufig die Aufgabe, auch wenn sie explizit nicht gestellt wird, ein Produkt nicht so sehr zu heroisieren, sondern zu einem sympathischen Charakter zu machen. Es gibt ein schönes Beispiel, bei dem uns das sehr gut gelungen ist. Ich habe mich gefreut, aber auch etwas gewundert, dass wir dafür einen Event-Award erhalten haben: für den Hubwagen von Linde (CiTi by Linde).

WR: Die unvermeidliche Frage nach den Trends, Stichwort die Stadt als Bühne?

Christoph Kirst: Die Stadt als Bühnenkulisse ist ja im Grunde kein neuer Trend. Das gibt es ja schon lange. Als ich in den 90ern als freier Regisseur anfing einige Produktionen im Stadtraum zu inszenieren, z. B. in einer Ruine den ‚Glöckner von Notre Dame‘, oder im Aquarium des Zoos, da war ich nicht der Erste oder Einzige. Herausgehen aus den etablierten Institutionen, was Frisches machen draußen, die Leute lieben das natürlich. Wenn man Räume neu auflädt, neu entdeckt. Was heute passiert, z. B. durch die „YouTubeisierung“, da lassen sich diese Themen ganz schnell streuen. Sie haben eine Inszenierung im öffentlichen Raum und die wird sofort medialisiert.

insglueck-aktion-menschWir sind beispielsweise mit dem neuen Logo von ‚Aktion Mensch‘, das den Inklusionsgedanken widerspiegelt, vier Wochen in Deutschland unterwegs gewesen. Das Logo zeichnet sich dadurch aus, dass es mit Menschen gefüllt werden kann, man sieht das auf Plakaten sehr gut. Durch unser Logo konnte man durchschauen, also kein festgefügter Schriftzug. Wir haben mit dem Logo ein kurzes Musik-Video mit dem Lied von Andreas Burani „Du bist ein Wunder“ gemacht, das nun im Netz steht. Das ist eine Inszenierung von Stadtraum. Die Leute inszenieren sich real und virtuell in der Stadt. Das ist sicherlich ein Trend, trotzdem nicht neu. Die französische Theatertruppe ‚Royal de Luxe‘, die 2009 zum Jubiläum des Mauerfalls hier in Berlin ein Märchen über die ganze Stadt hinweg gespielt hat – Die Riesen – die machen so etwas schon auf faszinierende Art und Weise seit über 20 Jahren.

Das neue ist sicher, dass das Live-Erlebnis selbst gar nicht der Punkt ist, sondern das, was medial über das Internet verbreitet wird, wie beim T7. Mobile Dance in der Liverpool Street Station 2009 in London. Medialisierung auf dem Event ist überhaupt ein Trend. Früher haben wir mehr mit Künstlern gearbeitet. Als ich anfing war gerade eine Varieté-Phase, wir verwenden heute viel häufiger mediale Elemente. Das hat damit zu tun, wie das Publikum rezipiert, dass das Internet so eine große Rolle spielt. Medien aller Art spielen eine viel stärkere Rolle allgemein, aber auch in den Veranstaltungen selber.

WR: Ihre Lieblingsveranstaltung?

Christoph Kirst: Keine leichte Frage – 2009 haben wir die Welcome Night zur Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin gemacht. Damals habe ich durchgesetzt, auch wenn es ein Wetterrisiko gab, dass wir das Brandenburger Tor nicht mit einer Bühne zubauen. Wir haben eine szenische Fläche vor dem Tor und Seitenbühnen installiert, um das Brandenburger Tor freistehen zu lassen und wirklich einmal als Kulisse zu nutzen. Da haben Sie’s: die Stadt als Bühne! Es waren über 400 Künstler am Start, es gab Live-Übertragungen in über 200 Länder. Wir hatten nur 6 Wochen Vorlaufzeit, aber es wurde ein echtes Highlight. Ich bin einfach im Herzen Regisseur geblieben, der stolz ist, wenn er etwas Großes bewegen kann, große Gefühle vor toller Kulisse.

Fotos: Insglück

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