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Szenografie Kolloquium 2015 – wie Raumwirkung, Objekte & Bewegung das Besucherlebnis lenken

Von Katharina Stein 29.1.2015 ~9 Minuten Lesezeit

Nachdem wir im letzten Jahr erstmals auf dem DASA Szenografie Kolloquium in Dortmund waren, haben wir uns auch in diesem Jahr zumindest den zweiten der drei Vortragstage nicht entgehen lassen. Und es hat sich wieder einmal gelohnt. Auch wenn die Inhalte der Veranstaltung mehrheitlich auf museale Ausstellungen und das Museumswesen ausgerichtet sind, Themen wie Ausstellungsgestaltung und Raumwirkung sind ebenso wichtige Themen im Eventmarketing und der Live-Kommunikation. Die aus unserer Sicht spannendsten Vorträge, Aussagen und Studienergebnisse des zweiten Tages haben wir Dir als Zusammenfassungen mitgebracht.

Raumwirkung sichtbar machen

Prof. Ulrich Nether

Wenn man sieht, wie viele Menschen heute nahezu überall arbeiten – in Cafés, im Zug, zu Hause, in wechselnden Büros – könnte man sich glatt fragen, ob der umgebende Raum dabei überhaupt noch eine Bedeutung hat? Dank mobilen Endgeräten können wir nahezu überall alles machen – die Umgebung wird einfach ausgeblendet oder akzeptiert. Raumdesignern läuft es da wahrscheinlich eiskalt den Rücken runter – sollte sich aus ihrer Sicht der Raum vielmehr den Bedürfnissen des Menschen anpassen, ihn mit Nutzerfreundlichkeit und Atmosphäre bei unterschiedlichen Handlungen unterstützen, nicht umgekehrt. Prof. Ulrich Nether untersucht genau dieses Phänomen – die Raumwirkung – und sagt aus den Erfahrungen seiner Studien heraus: nein, der Raum ist keines Falls egal geworden!

szenografie-kolloquium-ulrich-netherNeben reinen visuellen Eindrücken, sind unter anderem Klang, Temperatur, allgemeines Empfinden oder Licht Ausschlag gebend dafür, wie ein Raum wirkt. Ob er als angenehm empfunden wird oder nicht, ob er uns z.B. bei der Arbeit unterstützt oder eher stört. Übergeordnet nennt Nether vier Kriterien über die ein Raum bewertet wird: Wirkung, Akzeptanz, Orientierung und Usability. Doch wie findet man heraus, wie gut ein Raum gestaltet ist?

Das Empfinden und Wirken eines Raumes zu messen, ist verständlicherweise sehr komplex. Man kann sich dem jedoch annähern, indem man verschiedene Methoden anwendet. Neben physiologischen Reaktionen (Blutdruck, Hirnaktivitäten etc.) kann man auch mit verschiedenen Befragungen psychologische Empfindungen analysieren und vergleichen. Da es keine eindeutige Wissenschaft ist, sind Experimente dabei natürlich ein zentraler Bestandteil.

Als konkretes Beispiel beschreibt Nether eine Untersuchung, die sie in einem ICE durchgeführt haben. Ein typischer Ort in dem wir uns mehr dem Raum anpassen müssen, als er sich unseren Bedürfnissen. Menschen, die zufällig in den Zug stiegen und beabsichtigten dort zu arbeiten, wurden befragt und in ihren Arbeitsphasen im Zug untersucht. Aus diesen Ergebnissen, z.B. wie gut die Teilnehmer arbeiten konnten, was sie bewusst und unbewusst gestört hat, entwickelte das Team kleine Raumelemente, die das Arbeiten im Zug erleichtern oder angenehmer gestalten sollten. Darunter waren viele Elemente, die vor allem etwas mehr Intimsphäre ermöglichten wie z.B. Vorhänge, kleine Schirme/Fächer, die beispielsweise den Bildschirm des Laptops abschirmten. Schon kleine Eingriffe, die real nicht viel ändern, aber ein Gefühl von Trennung geben, können das Raumgefühl und die Wirkung im Sinne des Menschen verbessern. Kurzum, bei aller Flexibilität und auch wenn wir gelernt haben oder manchmal gezwungen sind, uns mit den räumlichen Umständen zu arrangieren, bewusst oder unbewusst hat der Raum einen signifikanten Einfluss auf uns, unser Verhalten und unsere Produktivität!

Für das Eventmarketing bedeutet dies: ein markenorientiertes Design und eine originelle Ausstattung reichen für ein gutes und zielführendes Raumdesign nicht immer aus! Vor allem, wenn bei der Veranstaltung gelernt oder etwas kreativ erarbeitet werden soll.

Und ganz persönlich: auch wenn es hip und cool ist, an verschiedenen Orten zu arbeiten und flexibel zu sein, der Arbeitsatmosphäre, Produktivität oder dem eigenen Wohlbefinden ist es nicht immer dienlich! Also ruhig wieder öfter auf einen dafür gedachten, eigenen Arbeitsraum zurückgreifen und diesen ganz bewusst gestalten!

 

Neben der allgemeinen, sozusagen statischen Raumwirkung, stellt sich aber auch die Frage, ob ein Raum durch die eigene Bewegung darin anders wahrgenommen wird? Wie lenken Räume und Objekte unsere Bewegungen und damit auch unsere Aufmerksamkeit? Mit diesen Fragestellungen hat sich Prof. Dr. Martin Tröndleer in einer aufschlussreichen und spannenden Studie beschäftigt.

 

Affordanz – wie lenkt Bewegung im Raum die Aufmerksamkeit des Museumsbesuchers?

Prof. Dr. Martin Tröndle

szenografie-kolloquium-martin-troendleFür so manchen Kurator und Museumsdirektor ein absolutes No Go, für andere absolut faszinierend und äußerst aufschlussreich: ein psychogeografisch kartiertes Museum! Konkret handelt es sich dabei um das Projekt eMotion unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Tröndle. Ziel war es die Erfahrungen von Museumsbesuchern experimentell zu untersuchen. Wie wirken Objekte an unterschiedlichen Orten auf den Besucher, wie interagiert der Besucher mit der Ausstellung, wie orientiert er sich und wie erlebt er den Museumsbesuch emotional?

Absolut spannende Fragen, die nicht nur Begeisterung im Museumswesen hervorriefen. Erst nach mehreren Anfragen bei verschiedenen Museen, von denen einige das Projekt mehr oder minder harsch ablehnten, wurde es letztlich 2009 im Kunstmuseum St.Gallen realisiert.

Freiwillige Teilnehmer (normale Besucher) wurden zum einen mit einem „Datenhandschuh, den sie während des Rundganges trugen“ ausgestattet. „In den Ausstellungsräumen bewegten sie sich frei. Mithilfe des Datenhandschuhs wurde das Raumverhalten (Wegenetz, Verweildauer, Gehgeschwindigkeit) der Besucher exakt aufgezeichnet. Zudem wurde die Herzrate als auch die Hautleitfähigkeit kontinuierlich erhoben.“ Ergänzend wurden die Teilnehmer vor und nach dem Besuch zu ihren individuellen Hintergründen befragt.

Neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen konnten aber auch die Teilnehmer der Studie interessante Einblicke in ihr eigene Kunstwahrnehmung erhalten. Nach ihrem Besuch erhielten sie eine Landkarte mit individuellen emotionalen Höhepunkten, Verweildauern und Laufwegen.

Die Ergebnisse der Studie sind sehr umfangreich und können auf der Website des Projekts eingesehen werden. Was ich jedem, der sich mit der Gestaltung von Räumen und Ausstellungen beschäftigt, nur empfehlen kann. An dieser Stelle beschränke ich mich nur auf ein paar Aussagen und Beispiele aus dem Vortrag von Prof. Dr. Martin Tröndle auf dem Szenografie Kolloquium.

Zentrale Aussagen & Beispiele des Vortrags: Raum, Bewegung und Aufmerksamkeit

Der Raum erschließt sich erst durch die Bewegung im Raum. Das bedeutet, dass ein Raum nicht als Raum einfach wirkt, sondern davon abhängt, wie sich der Besucher darin bewegt.

– Es ist ein Netzwerk aus Objekten und ihrer Wirkung, das uns in einem Raum leitet. Diese Objekte haben einen Aufforderungscharakter (kommunizieren uns im besten Fall, was wir machen sollen). Diesen Aufforderungscharakter von Objekten nennt man Affordanz. Menschen gehen daher in einen Raum, orientieren sich anhand der Objekte, entscheiden sich sodann für einen Weg, eine Handlung und erschließen von dort aus den Raum sowie weitere Bewegungen.

Objekte haben eine positive oder negative Valenz: sie ziehen uns an – oder stoßen uns räumlich ab. Dies hängt aber nicht nur vom Objekt ab, sondern auch vom Betrachter. Wenn jemand gerne sitzen möchte, dann hat ein Stuhl in der Ausstellung wahrscheinlich die größte positive Valenz in einem Raum. Eine groß geschriebene Schrift hat dagegen eine negative Valenz, da sie uns geradezu weg drückt, um sie besser lesen zu können.

– Es gibt gängige Grundannahmen von z.B. typischen menschlichen Bewegungsmustern, von denen in der Raumgestaltung häufig ausgegangen wird. Unter anderem, dass Menschen tendenziell in einem Raum zuerst nach rechts gehen. Ebenso wird von üblichen Strategien ausgegangen, die die Aufmerksamkeit auf bestimmte Objekte lenken sollen. Beispielsweise Objekte mittig und beim Betreten des Raums gut sichtbar zu platzieren, exklusiv und alleine im Eingangsbereich aufzuhängen oder neben einem Einleitungstext zu positionieren. Die Untersuchung konnte unter anderem diese Annahmen und Vorgehensweisen nicht bestätigen – sie wurden teils sogar eher widerlegt.

Beispiel 1 aus der Studie: Eine verhältnismäßig kleine Skulptur kann durch ihre Anwesenheit die Besucherbewegungen und Aufmerksamkeit sichtbar verändern. Selbst wenn sie recht unauffällig am Rand steht. Ohne sie erhielten alle anderen (ca. 7-10) Objekte deutlich mehr Aufmerksamkeit. Alle Objekte wurden abgelaufen und intensiver angeschaut. Mit der kleinen Skulptur im Raum scheinen Besucher eher abgelenkt und schenken allen Objekten insgesamt weniger Aufmerksamkeit.

Beispiel 2 aus der Studie: Eine kleine Auswahl von Bildern wurde vermeintlich prominent in den Eingangsbereich gehängt. Sie waren als Einleitung gedacht. Laut Studie funktionierte diese Hängung aber nicht ganz so, wie gedacht. Zum einen gingen viele Besucher schnell an dem aller ersten Bild, das rechts vom Ausstellungseingang hing, vorbei. Der Vergleich „Bild neben dem Eingang“, „alternatives Bild neben dem Eingang“ oder „kein Bild“ zeigte, dass es relativ egal war, ob dort ein Bild hängt oder nicht. Die meisten Besucher schenkten ihm trotz der Einzelhängung nicht viel Aufmerksamkeit. Zum anderen befand sich neben einem anderen Bild, einem Highlight der Ausstellung, ein groß geschriebener Einleitungstext. Diese große Schrift bewirkte, dass die meisten Besucher „weggedrückt“ (negative Valenz) wurden und so das teure und bekannte Gemälde daneben kaum oder nur kurz betrachtet wurde. Spannend, dass uns anscheinend vielmehr die Anordnung, als die eigentlichen Highlights der Ausstellung, leitet.

Nähe und Distanz sind häufig wichtige Aspekte in Ausstellungen. Manche Werke sollte man sich von Nahem anschauen, andere von Weitem. Da dies nicht immer ersichtlich ist, was wann besser ist, sollte die Raumgestaltung dabei helfen. Doch wie kann man führen, wenn es die Objekte nicht von alleine können? Tröndle beschrieb als Beispiel eine Ausstellung, die mit der Größe der einzelnen Räume spielte. Objekte, die man sich von Nahem ansehen sollte, waren in kleinen Räumen untergebracht, Objekte, die von Weitem betrachtet werden sollten, wiederum in großen.


» Weitere Fotos vom Szenografie Kolloquium 2015


Im » zweiten Teil unseres Nachberichts vom Szenografie Kolloquium 2015 gehe ich unter anderem auf den Vortrag von Johannes Milla ein, der aktuelle Vorgehensweisen der Szenografie, wie z.B. die Lenkung von Besuchern, auch kritisch hinterfragt. Und nicht zuletzt darf auch das Verhüllungskunstwerk der diesjährigen Veranstaltung nicht unerwähnt bleiben!

Fotos: Henning Stein / eveosblog.de

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