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Die Branche wird danach eine andere sein: Interview mit Cedric Ebener – Eventdesign Jahrbuch 2020/21

Von Katharina Stein 23.6.2020 ~12 Minuten Lesezeit

Als ich Anfang des Jahres die Texte für das Eventdesign Jahrbuch 2020/21 begann, suchte ich noch nach dem großen Wandel in der Live-Kommunikation. Schließlich krempeln zahlreiche Entwicklungen unser Leben um: Nachhaltigkeit, Werte, Gleichstellung, Sinnhaftigkeit, Digitalisierung oder die „Gen Z“. Schaut man sich die breite Masse der Markenerlebnisse an, so findet man darunter zweifelsohne anspruchsvolle Konzepte und auch ein paar grundlegende Veränderungen. Aber einen substantiellen Wandel? Doch dann kam ein Wandel: COVID-19!

Und plötzlich ging es um Menschenleben, um unser Versorgungssystem und die Rettung unserer und vieler anderer Branchen. Vor diesem Hintergrund entstand ein sehr interessantes Interview mit Cedric Ebener, Geschäftsführer von CE+Co – mit Einschätzungen zu Corona-Folgen und anderen Themen, wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, „Purpose“ und Social Media.


Interview mit Cedric Ebener

Erschienen im Eventdesign Jahrbuch 2020/21

Als wir das Interview begannen, fragte ich, wo der Wandel in der Live-Kommunikation bleibt. Dann kam Anfang 2020 COVID-19 und es brach ein völlig unerwarteter „Wandel“ über uns herein. Wie bewertest du die Lage?

Cedric Ebener: Ich bewerte die Lage für die Branche, für die gesamte Wirtschaft und auch für die Gesellschaft, weltweit, erst mal relativ katastrophal. Diese Krise beginnt nicht top-down bei den Banken wie 2008. Diesmal fängt sie beim Volk an, beim Konsumenten, beim Produzenten, bei Logistikern und Händlern aus allen Branchen, weltweit gleichzeitig. Sie nimmt dem gesamten System damit bottom-up die Finanzkraft. Die Auswirkungen dessen halte ich für absolut nicht absehbar.

Wohlgemerkt, ich gebe diese Antworten Anfang April, an dem Tag, an dem Microsoft die Absage aller Veranstaltungen bis Juni 2021 verkündet hat. 14 Monate lang kein Event. Leider werden da jetzt andere nachziehen. Und an so einem Tag soll ich sagen, welche Auswirkungen das auf die Branche haben wird…

Es wird drunter und drüber gehen! Es werden Agenturen, gute, namhafte, etablierte Agenturen, in die Insolvenz gehen müssen. Und daraus werden einige nicht positiv hervorgehen. Das wird Arbeitsplätze kosten. Und der Markt wird diese nicht auffangen können. Freelancer stehen eh bereits als erste Verlierer der Krise mit dem Rücken zur Wand. Aber zwölf Monate ohne Kerngeschäft zu überleben, das wird für viele Agenturen und Freelancer nicht zu stemmen sein. Und als in etwa so lang schätze ich Planungsunsicherheit und Auftragsausfall in unserer Branche ein.

Wie wird die Branche nach der Corona-Krise aussehen?

Cedric Ebener: Die Branche wird danach eine andere sein. In der AgenturKunde-Beziehung wird sich viel ändern. Kunden, die jetzt den Draht zu ihren Agenturen verlieren, werden auch in Zukunft keine loyalen Agenturpartner an ihrer Seite finden. Agenturen hingegen, die jetzt die Chance bekommen, gemeinsam mit ihren Kunden die Situation zu meistern, werden enger, intensiver und damit besser als je zuvor wertvolle Partner für genau diese Kunden sein können. Und es werden neue Agenturmodelle entstehen. Schon jetzt ist erkennbar, dass wichtige Player der Branche neue Angebote und Ertragsmodelle schnüren, um zu überleben. Alles, was sich davon als vielversprechend erweist, wird vom Ertragsmodell zum Geschäftsmodell und damit Nachahmer und weitere Neugründungen nach sich ziehen.

Agilität und Kreativität werden dabei in all diesen Modellen weiter an Wert gewinnen. Denn beide zusammen sind der Schlüssel dazu, Lösungen für neue Herausforderungen zu finden. Jetzt, in der Krise, und natürlich auch danach. Und dieser Wert wird von vielen vormals konservativen Kunden erst nach dieser Phase wirklich erkannt und wertgeschätzt, ergo eingekauft werden.

Insofern wird die Wirtschaft nach dieser Krise mehr Agenturen und mehr Freelancer brauchen als je zuvor. Diese werden aber vermutlich nicht immer in den alten Konstellationen zur Verfügung stehen, sondern zu einem großen Teil gänzlich neu arrangiert funktionieren müssen.

Und genauso neu werden die Märkte und Projekte funktionieren, in denen sich diese Agenturkonstellationen bewegen werden. Wir werden alle einen großen digitalen Schub erleben. Und dabei werden wir bemerken, wie wichtig die reale Begegnung ist. Die Konzeption dieser realen Begegnungen wird dabei vor neuen Aufgaben stehen, was Erlebnisqualität, Authentizität, Dramaturgie und Wertschätzung angeht. Gleichzeitig werden wir an reale Begegnungen auch wieder eine digitale Messlatte anlegen, insbesondere in puncto Verfügbarkeit, Erreichbarkeit, Kosten /Nutzen und der Abrufbarkeit und Wechselbarkeit digitaler Events. Die Branche wird gleichsam digitaler und realer.

Auch der Umgang mit KI und Big Data wird sich wandeln. Denn zum einen werden beide wichtiger und einflussreicher, je digitaler wir Menschen miteinander interagieren. Gleichsam sind gerade in diesen Situationen die menschliche Psyche und die Neuorientierung der Konsumgewohnheiten in Krisenzeiten wie diesen kaum vorhersehbar. Und dieses Zusammenspiel von Big Data, KI und dem, was uns als Profis in der Eventbranche ausmacht, nämlich Menschenkenntnis und Empathie, das wird intensiver und spannender werden.

Trotz Corona möchten wir auch andere Themen ansprechen, die die Branche zuvor und vermutlich auch danach umtreiben.

Zum Beispiel Nachhaltigkeit. Trotz der wachsenden Bedeutung sieht man in der Praxis kaum wirklich nachhaltige Markenerlebnisse. Musikfestivals machen deutlich mehr, um stückweise nachhaltiger zu werden. Warum spürt man diesen Aufbruch nicht unter Markenerlebnissen?

Cedric Ebener: Natürlich wird die Sinnhaftigkeit von Veranstaltungen, gerade im Hinblick auf Nachhaltigkeit, aber auch auf Authentizität von Werteversprechen und Purpose-Bekundungen von Veranstaltern und veranstaltenden Unternehmen, immer kritischer hinterfragt. Zu Recht, wie ich finde, denn erst wenn wir auf alle diese Fragen auch gute, ehrliche und nachvollziehbare Antworten geben können, haben wir als Agentur einen guten Job für unsere Kunden gemacht.

Festivalveranstalter sind da in der Tat einen Schritt weiter. Weil sie an vorderster Front mit ihrer Zielgruppe in Kontakt sind und dieser Zielgruppe auch zuhören. Viele Unternehmen sind inzwischen gute Erzähler geworden, hören aber nicht ganz so gut hin und nutzen gerade bei Veranstaltungen auch die Möglichkeit des Dialogs nur bedingt.

Da haben es jährlich wiederkehrende Festivals mit soliden Lerneffekten und einer extrem auf Nachhaltigkeit bedachten Zielgruppe tatsächlich etwas leichter. Aber das soll keine Ausrede sein. Wir müssen unseren Kunden klar machen, dass sie am Ende an der Glaubwürdigkeit gemessen werden, mit der sie Nachhaltigkeit auch auf exklusivem Level positiv erfahrbar machen. Denn Nachhaltigkeit ist kein Kompromiss und auch keine Einschränkung. Nachhaltigkeit ist nichts anderes als eine Haltung.

Besuchern von Musikfestivals ist Nachhaltigkeit sehr wichtig. Ist das auch unter Besuchern von Markenerlebnissen spürbar?

Cedric Ebener: Ja. Aber nicht so klar und deutlich wie bei den Festivals, wo die Zielgruppe sich zu nahezu 100-prozentig aus der Fridays-for-Future-Generation rekrutiert. Aber diese Zielgruppe wird älter und in fünf Jahren Business-Veranstaltungen besuchen …

Digitalisierung und Big Data gehören auch zu den großen Trends. Event-Apps und digitale Angebote im Rahmen von interaktiven, spielerischen Stationen sind keine Seltenheit mehr. Wo und wie nimmt die Digitalisierung sonst konkret Einfluss?

Cedric Ebener: Vor allem in der Evaluierung und demnach in der Optimierung von gestalteten Erlebnissen ist ein riesiger Sprung zu verzeichnen. Und einer, der Sinn macht! Wenn mir eine Software aus den Gesichtern meiner Zuhörer bei einem Vortrag vermittelt, wann sie aufmerksam waren und wann nicht, dann werde ich den nächsten Vortrag gegebenenfalls anders gestalten. Wenn ich erfahre, nicht nur wie lange, sondern wo sich welche Kunden auf einem Messestand welchen Themen zugewendet haben, und aus ihrer Körpersprache Zustimmung oder Ablehnung lesen kann, dann weiß ich, was ankommt und was nicht.

Was die spielerischen Aktionen angeht, vor allem in den Bereichen VR und AR, da bin ich nach wie vor skeptischer. Oft steht das technisch Machbare und vordergründig Beeindruckende im Mittelpunkt, weniger das Sinnhafte und Bereichernde. Schaue ich mir aber zum Beispiel die Projekte an, die zuletzt auch beim ADC in den digitalen Kategorien intensiv punkten konnten, dann sehen wir, dass die Sinnhaftigkeit auch Einzug halten kann in derlei technisch anspruchsvolle Erlebnisse. Und der Weg wird auch in diese Richtung schnell und anspruchsvoll weitergehen.

„Purpose“ ist eines der großen Themen, sagt man voraus. Doch sind sich die Kreativen und Manager bewusst, dass gerade dieses Thema nicht funktioniert, wenn man nichts an der Firmenethik ändert?

Cedric Ebener: Ich habe schon 1996 zusammen mit engagierten Kommilitonen einen Kongress zum Thema „soziale Qualität in der Werbung“ ins Leben gerufen. Und die Frage lautete schon damals ganz provokativ: „Kann eine Waschmaschine pazifistisch sein?“ Unsere Antwort damals wie heute lautete: Ja, sie kann. Sie darf es aber nicht nur behaupten, sie muss es tatsächlich sein.

Nun ist die Purpose-Diskussion endlich da, wo sie hingehört. Nämlich in den Köpfen derer, die am Hebel sitzen. Wer mitspielen möchte, sich aber noch seinen Purpose, seine Haltung, seinen Mehrwert für die Gesellschaft suchen muss, der hat ein Problem. Auch da ist die Krise rund um die Corona-Pandemie ein Katalysator, der verdeutlicht, wer schon weiß, wo und wofür er in der Gesellschaft steht, und wer noch nach Bedeutung und Relevanz suchen muss.

Doch ist der Purpose erst definiert und kommuniziert, wird das Unternehmen auch daran gemessen. Und wenn es sich dann eben hinter den Kulissen noch nicht so weit entwickelt hat und anders anfühlt, als vorne erzählt wird, dann wissen wir, dass der Schuss nach hinten losgeht. Deswegen tun sich viele Konzerne so schwer damit, konkrete Haltung zu zeigen. Weil sie sich nicht trauen, Haltung zu haben und auch daran gemessen zu werden. Mittelständler und Familienunternehmen haben es da einfacher. Weil sie näher am Charakter einer Gründungsoder Führungspersönlichkeit agieren können als rein aktienkursgetriebene Strukturen.

Einen Gedanken möchte ich dazu aber noch loswerden: Die von dir angesprochenen Manager und Kreativen in der deutschen Kommunikationsbranche investieren jährlich mehr als 100 Milliarden Euro in Kommunikation. Nicht auszudenken, welche positive Wirkung entstünde, wenn auch nur die Hälfte davon gesellschaftlich wertvolle Haltung implizieren würde. Und ich nehme dem Satz gern den Konjunktiv und gebe ihm Futur: Seid gefasst darauf, dass zukünftig immer mehr Marken Haltung zeigen werden. Weil sie müssen. Weil es von ihnen erwartet wird. Und diese Haltungen müssen dann auch gelebt werden. Weil sie überprüfbar sein werden. Insofern liegt gerade viel mehr in den Händen von Managern und Kreativen als eine kleine Purpose-MarketingDiskussion. Hier werden gesellschaftliche Werte zementiert oder torpediert. Und wir dürfen und müssen mit entscheiden, welche das sind!

So, und darüber darf man jetzt mal in Ruhe nachdenken.

Markenerlebnisse werden komplexer und anspruchsvoller. Die Strategien der Marken überschreiten klassische Grenzen. Eine Vernetzung und Zusammenarbeit der Disziplinen und Fachleute wird somit immer notwendiger. Wie sieht die Realität in diesem Kontext aus? Hat sich die Projektarbeit heute schon verändert?

Cedric Ebener: O ja! Unsere Aufgabe als Agentur ist nicht, alles zu können und jede Profession fest einzustellen. Das Modell hat sich überlebt und ist in volatilen und agilen Zeiten, Corona hin oder her, längst obsolet. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, die Entwicklung am Markt zu verstehen, die wichtigen Disziplinen zu überblicken, deren Vordenker und Macher zu kennen und dieses Wissen und diese Kontakte für uns und die Projekte unserer Kunden mobilisieren zu können.

Wir bringen die richtige Haltung und die richtigen Menschen mit an den Tisch. Und agieren dann gemeinsam mit unseren Kunden in vernetzten und agilen Teams in konstantem Austausch untereinander. Colja Dams hat das vor drei Jahren gut und richitg erkannt und uns allen in der VOK DAMS-Gruppe klar den Weg zu einer agilen Agenturarbeit vorgegeben und vorgelebt, und davon profitieren wir heute. Die Agentur, die sich zurückzieht und mit Hochglanzpräsentationen aus dem Elfenbeinturm zurückkehrt, kenne ich heute nicht mehr. Denn diese intensive Kollaboration macht uns als Dienstleister schlauer, den Kunden entscheidungsfähiger und die Projektergebnisse besser.

Das funktioniert natürlich nur, wenn Kunde und Agentur auf Augenhöhe agieren. Und zu dieser Augenhöhe gehört eben auch, klar zu formulieren, was man kann und was man nicht kann. Und genau dafür bringt man dann wieder jemand Neuen an den Tisch, der die Lücke schließt.

Was sich daran am meisten geändert hat, ist in meinen Augen die Fähigkeit der Kunden, mit wechselnden Personen am Tisch trotzdem die Kontinuität im Projekt zu erkennen und gemeinsam mit uns zielgerichtet zu steuern. Das macht nicht nur viel mehr Spaß als früher, sondern führt (deswegen) auch zu viel besseren Ergebnissen.

Die mediale Verbreitung unter anderem über Social Media hat für Markenerlebnisse eine hohe Bedeutung. Sie werden oft ganz bewusst, in Extremfällen fast nur für diesen Zweck gestaltet. Doch kann man die Menschen alleine mit instagramtauglichen Formaten nachhaltig erreichen?

Cedric Ebener: Kann man auf Instagram mit kurzlebigen Inszenierungen Erfolg haben? Ja, natürlich kann man das. Kann dieser Erfolg nachhaltig manifestiert werden? Ja, natürlich, wenn man ihn konstant wiederholt und sich dabei regelmäßig aktualisiert oder neu erfindet. Kann man Menschen allein damit nachhaltig erreichen? Nein!

Spätestens das Produkt muss am Ende die per Social Media hochgelegte Latte überspringen können. Und vor dem Produkt stehen eben häufig Erlebnisse, die sich nicht nur online, sondern auch live und vor Ort als authentisch beweisen müssen. Wird eine Kulisse als solche ertappt, fällt sie in sich zusammen. Und mit ihr das beworbene Produkt. Langfristig erfolgreich sind diejenigen, die das Erlebnis qualitativ auf hohem Niveau spürbar und gleichzeitig perfekt medial verbreitbar gestalten.

Viel spannender aber sind doch die Geschichten, die live passieren und die medial in zig Varianten verlängert und erweitert werden. Um eben tatsächlich einen medialen „Mehrwert“ zu erzielen und nicht nur mediale Reichweite abzuschöpfen, ohne echte Experience im Kern.

 

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