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Experimentelle & kritische Betrachtungen von Raumdesign und Ausstellungen – Szenografie Kolloquium 2015

Von Katharina Stein 5.2.2015 ~6 Minuten Lesezeit

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Es ist immer gut, hin und wieder typische Denkmuster und als normale verinnerlichte Annahmen zu hinterfragen. Sind sie auch noch so zeitgemäß und aktuell – richtig und gut müssen sie deswegen trotzdem nicht sein. Das trifft auch in der Ausstellungsgestaltung und Szenografie zu. Wie können klassische Exponat-Ausstellungen anders oder experimenteller gedacht werden? Wie viel Inszenierung braucht ein Raumdesign wirklich? Wie stark sollte man Besucher lenken? Spannende Fragen, experimentelle Beispiele und auch kritische Sichtweisen des Szenografie Kolloquiums 2015.

museum_inside_out. Ein museologischer Feldversuch

Matthias Beitl

szenografie-kolloquium-2015-matthias-beitlEine äußerst interessante Idee realisierte Matthias Beitl als Direktor des Österreichischen Museums für Volkskunde. Er hat im Rahmen des Projekts „museum_inside_out“ nicht nur Exponate ausgestellt, sondern auch die Mitarbeiter und ihre Arbeit zum zentralen Teil der Ausstellung gemacht. Ein Konzept, das das klassische Museum neu erfindet.

Hierfür wurden die Ausstellungsräume zu multifunktionalen Arbeitsplätzen: darunter ein temporäres Lager für die Exponate, eine Registratur- und Inventarisierungstelle, ein Fotolabor sowie ein Restaurieratelier. Die normalerweise nie sichtbare Arbeit eines Museums wurde öffentlich begehbar. Besucher konnten durch die Arbeitsräume gehen, sich sowohl die ungeordneten Exponate als auch die Arbeit der Mitarbeiter anschauen.
Eigens hierfür entwickelte Informationsstellen boten den Besuchern Einblicke in die jeweiligen Tätigkeitsbereiche ohne die Mitarbeiter zu sehr zu stören. So besaß z.B. jeder Mitarbeiter einen Arbeits-Container, auf dem er sich und seine Tätigkeit vorstellte. Gleiches fand man auch auf der Website.

Ein ungewöhnlich experimentierfreudiges und sehr schönes Museums-Projekt, wie ich finde! Für Matthias Beitl gehört das Experiment zum Teil des Museums. Leider scheint mir, dass viele Museen sich dann aber doch lieber auf das seit Jahrzehnten bekannte und gebräuchliche Vorgehen verlassen. Dabei hatte das Projekt laut Beitl auch positive Auswirkungen auf die Mitarbeiter und ihre Arbeit: sie wurden spontaner und haben das Museum als Möglichkeitsort begriffen – und nicht nur als Ausstellungsraum.

 

„Ausstellungsgestaltung – Zwischen Arroganz und Anbiederung“

Johannes Milla

Johannes Milla war mit dem Vortrag „Ausstellunsgestaltung – Zwischen Arroganz und Anbiederung“ angekündigt. Jedoch änderte er den geplanten Inhalt seines Vortrags recht spontan, wie er auf der Bühne gestand. Grund war laut eigener Aussage das Buch „Müde Museen“, das er kurz zuvor gelesen hatte und dort alles vorfand, was er eigentlich sagen wollte. Die spontane Alternative wurde so zu einem etwas gestückelten, aber unterhaltsamen Vortrag und Rundumschlag über einzelne Aspekte und kritische Fragen der Ausstellungsgestaltung – kurzum Themen, die ihn umtreiben. Dabei sprach er durchaus interessante Fragen an, die ihn und wohl auch uns zum Nachdenken bringen (sollen). Die Antworten ließ er zumeist offen, weil er zum Teil selbst keine hatte oder zu Diskussionen anregen wollte – und so gebe ich sie nun zur eigenen Reflexion an Dich weiter.

Wie viel Inszenierung brauchen wir wirklich?
Johannes Milla outete sich beim Szenografie Kolloquium als Vitrinenfan. Wenn er Kinder im Naturhistorischen Museum in Wien sieht, wie begeistert sie vor den altehrwürdigen Vitrinen stehen und unzählige Insekten bestaunen, fragt er sich, ob es all dieser Inszenierung mit „Hands-on“ und allerlei Bespaßung wirklich bedarf. „Weniger Szenografie ist die besser Szenografie“ sagt er. Wie dies seiner Meinung nach in der Realität und Praxis konkret aussehen soll, blieb dabei jedoch etwas unklar. Trotzdem kann ich persönlich den Grundgedanken verstehen, dass der aktuelle Inszenierungs-Wahn auch langsam ermüdend wird.

szenografie-kolloquium-2015-johannes-millaDenkt Szenografie wirklich an den Menschen?
Trotz geändertem Vortrag blieb das Thema Arroganz auf seiner Agenda. Denn seinem Eindruck nach steht viel zu selten der Mensch wirklich im Mittelpunkt der Raumgestaltung und Szenografie, so Milla. Als amüsantes Beispiel beschrieb er eine stilvoll gestaltete Garderobe eines Design-Museums – mit kleinen Spinden in der Größe von ca. 30x50cm. Doch was ist wenn ein Besucher, wie er, aus dem nassen Winterwetter mit durchtränktem Mantel ins Museum kommt? Soll er seinen nassen Mantel in so einen Spind quetschen? Stellt Szenografie nicht allzu oft das Design vor den Mensch bzw. die Usability?

Wie viel Führung braucht ein Besucher wirklich?
Wie im ersten Teil unseres Nachberichts bei Prof. Dr. Martin Tröndle beschrieben, können und sollen Räume Menschen führen. Szenografen choreographieren Bewegungen von Menschen. Das hat seinen Sinn, keine Frage. Aber irgendwie erinnert es Johannes Milla auch an ferngesteuerte Menschenmassen, die konform durch Ausstellungen getrieben werden. Wir neigen dazu den Menschen immer mehr zu führen und vorzugeben, was er wie erleben soll. Ist das wirklich gut, fragt Milla.

Was macht Mobile mit uns?
Eine nicht ganz neue und gerade unter Nicht-Native-Usern verbreitete Frage: Was macht Mobile mit uns? Früher war es ein besonderer Moment, wenn man seine Fotobox öffnete und die entwickelten Fotos seines Lebens durchstöberte. Heute werden besondere Momente schnell ins Handy übertragen. Die Fotoalben im Handy sind immer griffbereit. Was passiert, wenn wir alles immer bildlich festhalten und dabei haben, anstatt die Einzigartigkeit der Momente zu genießen und sie als solche zu bewahren? Entwerten wir auf diese Weise besondere Momente? Meine schlussfolgernde und ergänzende Frage: Sollte die Handynutzung in Ausstellungen oder bei manchen Events gemieden oder gar verboten werden, wie es in manchen Restaurants schon der Fall ist?

Was machen Wettbewerbe/Pitches mit Ausstellungen?
Den Pitch-Wahnsinn, die Respektlosigkeit und fehlende Wertschätzung kennen wir in der Eventbranche nur zu gut. Im Museumswesen scheint es nicht anders zu sein. Johannes Milla kritisierte nicht nur die Umgangsformen bei Wettbewerben, seiner Meinung nach gefährden sie sogar Ausstellungen. Denn hierdurch stellen sich laut Milla Dienstleister mehr die Frage, wie sie ein Budget gewinnen und nicht was das beste Konzept ist.

– Sein letzter Punkt ist dann aber doch mehr ein Aufruf als eine Frage: er wünscht sich, dass höhere Budgets für Ausstellungen durchgesetzt werden (das Publikum reagierte mit Gelächter) – und wenn das nicht möglich ist, dann sollten lieber weniger Ausstellungen gemacht werden.

Abschließend drei Ausstellungs- und Buch-Tipps von Johannes Milla:


» Teil 1 des Nachberichts: Szenografie Kolloquium – wie Raumwirkung, Objekte & Bewegung das Besucherlebnis lenken

» Weitere Fotos vom Szenografie Kolloquium 2015
Fotos: Henning Stein / eveosblog.de

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