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5 Faktoren immaterieller Ausstellungen um Interaktion & Veränderung zu fördern – DASA Szenografie Kolloquium

Von Katharina Stein 6.2.2014 ~8 Minuten Lesezeit

Ausstellungen thematisieren heute nicht nur Objekte, die ganz klassisch in Vitrinen ausgestellt oder etwas zeitgemäßer interaktiv erlebt werden können. Viele privatwirtschaftliche oder öffentliche Ausstellungen möchten auch immaterielle Themen vermitteln: von gesellschaftlichen Problemen oder Herausforderungen bis hin zu Firmenphilosophien oder -werten. Ziele sind zumeist ein Perspektivwechsel, eine bessere Verinnerlichung oder gar eine Verhaltensänderung. Doch wie muss so eine Ausstellung aufgebaut sein, damit sie ihre Funktion als „Katalysator sozialer Interaktion und Veränderung“ erfüllt?

Über zentrale Erfolgsfaktoren und Praxisbeispiele solch immaterieller Ausstellungen sprach Orna Cohen auf dem Szenografie Kolloquium 2014 in Dortmund. Als renommierte französische Ausstellungsgestalterin ist sie heute Chief Creative Officer der Dialogue Social Enterprise GmbH und gestaltet vornehmlich Ausstellungen die soziales Bewusstsein, Behinderungen und Andersartigkeit thematisieren.

Laut Orna Cohen besteht die größte Herausforderungen von objektlosen Ausstellungen darin, Plattformen zu schaffen, die einen öffentlichen Raum für Interaktion bieten. Einen Ort an dem man sich sinnstiftend und authentisch austauschen kann. 5 zentrale Faktoren benennt sie in diesem Kontext als ausschlaggebend.

5 Faktoren immaterieller Ausstellungen & Förderung sozialer Interaktion

 

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Orna Cohen

1. Ungewöhnliche Situationen
Es ist wichtig Menschen zu überraschen, Situationen zu provozieren, die unerwartet sind, neugierig machen und Aufmerksamkeit erregen. Das können Kleinigkeiten sein, wie z.B. ein Text, der um 90° gedreht ist – für den man den Kopf drehen muss, um ihn zu lesen. Doch die Kehrseite ist: solche Situationen dürfen nicht zu extrem werden, zu viele oder sogar negative Emotionen auslösen, betont sie.

2. Der Besucher steht im Zentrum
Das Konzept muss den Besucher und seine individuellen Eigenschaften und Vorstellungen berücksichtigen. So musste beispielsweise die Ausstellung „Dialogue with Time“ (siehen unten), die zuvor in Israel ausgestellt wurde, auf das deutsche Publikum umgedacht werden. In Israel ist es üblich, dass Familien mit mehreren Generationen (Großeltern, Eltern, Kinder) das Wochenende miteinander verbringen und z.B. gemeinsam in die Ausstellung gehen. In Deutschland ist das nicht der Fall. Man konnte also nicht fest mit generationenübergreifenden Besuchergruppen rechnen, was konzeptionell bedacht werden muss. Ein anderes typisch deutsches Problem ist übrigens (laut Publikum) auch die Scheu vor Interaktion. Auf diese gesellschaftlichen oder individuellen Merkmale muss man gezielt achten und eingehen!

3. Spielerische Situationen
Menschen können Themen besser erfassen, wenn sie sie spielerisch erleben oder sich miteinander darüber austauschen können.

4. Der Besucher ist Subjekt und Objekt
Menschen interessieren sich sehr dafür, was andere denken, tun oder sagen. Wenn man die Ansichten und Meinungen der Besucher in die Ausstellung einbringt, z.B. über Diskussionen, Aufgaben oder Abstimmungen, sind die Besucher nicht nur Besucher, sondern ein ebenso wichtiger und interessanter Teil der Ausstellung.

5. Authentische Begegnungen
Bei immateriellen Themen ist es wichtig sich in andere Positionen und Sichtweisen einfühlen zu können. Sowohl körperlicher als auch mentaler Art. Im folgenden Beispiel von Orna Cohen geht es z.B. darum selbst zu erfahren, wie es ist, ein älterer Mensch zu sein: die körperliche, soziale und gesellschaftliche Situation nachempfinden zu können. Auch zwischenmenschliche authentische Begegnungen sind dabei von großer Bedeutung: je nach Thema sollten beispielsweise Guides glaubwürdige thematische Vertreter sein. Auch die Umgebung und Raumgestaltung kann ein Faktor der Authentizität sein.


» Fotos vom Szenografie Kolloquium 2014


Praxisbeispiel für eine immaterielle Ausstellung: „Dialoque with Time“

Als Beispiel wie eine immaterielle Ausstellung konkret konzipiert werden und aussehen kann, beschreibt Orna Cohen eine ihrer aktuellsten Ausstellungen „Dialoque with Time“. Diese Ausstellung beschäftigt sich mit dem immateriellen Thema des „Alterns“. Ziel ist es einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, Vorurteile gegenüber älteren Menschen sowie dem Prozess des Alterns abzubauen.

Die Ausstellung „Dialogue with Time“ besteht aus mehreren Räumen, die die Besucher in geführten Gruppen durchlaufen. Im ersten Raum erhält jeder Besucher schwere Schuhe und einen leuchtenden, tickenden Anhänger. Die Schuhe sollen das Gehen erschweren und die Bewegungen eines älteren Menschen nachempfinden lassen. Der Anhänger symbolisiert die Lebensdauer und wird irgendwann anfangen zu blinken: der Moment in dem man in Rente geht – doch dazu später mehr. Zudem werden an dieser Stelle Passfoto von jeder Person gemacht.

Im „Tunnel der Zeit“ regen an den Wänden stehende Fragen zum Reflektieren an. Fragen wie „Hast Du jemals in Bezug auf Dein Alter gelogen?“, „Hast Du Angst vor dem Altern?“. Zum Ende hin senkt sich die Decke ab, zudem wird das Ticken der Anhänger lauter sobald mehr Menschen den Tunnel betreten.

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Gelber Salon

Der nächste Raum dient einer körperlichen Erfahrung. Der „Gelbe Salon“ ist dabei komplett in gelbes Licht getaucht und leicht neblig. Die Ausleuchtung soll eine altersbedingte Veränderung der Augen verdeutlichen. In diesem Raum sollen die Besucher alltägliche Aufgaben lösen: kleine motorische oder sensorische Arbeiten, die aufgrund der Raumumstände und im Alter schwerer sind.

Willkommen im Club heißt es im nächsten Raum, in dem die Gruppe ihren Senior Guide kennenlernt. Die zu Beginn erstellten Passfotos werden im Verlauf des Gesprächs an die Wand projiziert. Gemeinsam schaut man den eigenen Gesichtern auf den Fotos beim Altern zu. Diese natürlich sehr berührende Erfahrung provoziert schnell Diskussionen zu Themen wie Schönheit und Alter. Der Senior Guide erzählt abschließend seine Lebensgeschichte – jedoch beginnt er im Alter und wird in seiner Geschichte immer jünger.

Nachdem man sich zuvor mit dem eigenen Alter auseinander gesetzt hat, soll im nächsten Raum gemeinsam spielerisch diskutiert werden. Als Anregung dienen u.a Karten mit Momentaufnahmen von Gesichtern in verschiedenen Altersgruppen: die Teilnehmer sollen anhand der Karten bestimmen, wann die Person „alt“ ist oder wird. Auf weiteren Karten sind einzelne Lebenssituationen, Momente und Aktivitäten von älteren Menschen abgebildet: nun sollen die Teilnehmer Karten wählen, die ihrer Meinung nach ein „glückliches Altern“ am besten beschreiben.

Bei einer weiteren Aufgabe soll „gevotet“ werden. Die Ergebnisse werden live im Raum angezeigt. Gevotet wird zu Fragen wie „Wann möchtest Du in Rente gehen?“ oder „Wann ist ein Pilot zu alt zum Fliegen?“. Nachdem die Ergebnisse angezeigt wurden, erklären die Guides, dass beispielsweise Piloten alle 3 Monate strenge Tests durchführen müssen. Sofern sie diese bestehen, sind auch keine Bedenken in Bezug auf das Alter begründet. Nach verschiedenen solcher altersbezogenen Erläuterungen wird erneut abgestimmt: und in den meisten Fällen kommen hier andere Ergebnisse heraus als zuvor, berichtet Orna Cohen. Bei dieser Aufgabe geht es zum einen darum interessante Daten und Informationen über die Meinungen zum Thema zu sammeln, aber auch zu provozieren, die Sichtweisen zu verändern und zu diskutieren.

Neben der Auseinandersetzung mit der eigenen Sicht und Wahrnehmung dienen diese Austauschmöglichkeiten auch dazu die Meinungen anderer Menschen zu erkunden. Wie im obigen 4. Faktor „Der Besucher ist Subjekt und Objekt“ beschrieben, ist das ein interessantes Element um Interaktion anzuregen. Man kann beobachten wie sehr es Menschen interessiert, was andere denken, wie sie anderen über die Schulter schauen, um zu sehen welche Karten sie aussuchen, erzählt Orna Cohen.

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Spielerisches Austauschen und Voten

Während die Besucher reden und „spielen“, fängt einer der tickenden Anhänger an zu blinken. Der Guide verabschiedet sich von der betreffenden Person, alle applaudieren und der Besucher soll nun in Rente gehen. Die Rente wird durch einen abgetrennten Raum mit einer Bank an einer langen Wand symbolisiert. Von dort aus kann der Renter die anderen sehen, sich aber nicht mehr beteiligen. Ähnlich wie im realen Leben soll spürbar gemacht werden, wie es ist, plötzlich nicht mehr den üblichen Aktivitäten nachzugehen, isoliert zu sein und sich ein wenig verloren und nutzlos auf dieser abgegrenzten Bank wiederzufinden. Die Besucher fragen sich zwangsläufig, warum gerade sie jetzt dort sitzen und nichts mehr machen dürfen. Sobald die Gruppe in den nächsten Raum aufbricht, kommen auch die „Renter“ wieder dazu.

Alter soll aber nicht nur negativ empfunden werden – das sollen Geschichten im nächsten Raum verdeutlichen. Animierte Puppen erzählen Geschichten über ihre Leidenschaften und über die Werte, die sie in ihren „Einschränkungen“ erkannt haben. Darunter eine Frau, die nicht mehr Autofahren kann, und aufgrund dessen entschieden hat, dass sie nun fliegen anstatt Autofahren wird – so die Welt entdecken und bereisen möchte. In einem anderen Teil ziehen Menschen Schlussfolgerung kurz vor ihrem Tod und geben Ratschläge: „Vergessen Sie nicht, wie wichtig Ihre Familie ist“, „Seien Sie Sie selbst“.

Im letzten, alterstypisch gestalteten Raum sollen die Besucher ihre Eindrücke der Ausstellung reflektieren.

Im „Epilog“ bietet die Ausstellung einen Fragebogen an, der „auf humorvolle Weise das eigene Altersprofil definiert“. Dieses Profil und das Foto als älterer Mensch kann man sich dort per E-Mail zusenden.

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Letzter Raum für die Reflektion der Eindrücke

 

Fotos Ausstellung: Itay Sikolski, Fotos Szenografie Kolloquium: Henning Stein / eveosblog

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