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Echte Partizipation: Beispiele, Vorteile und Risiken – Szenografie Kolloquium 2017

Von Katharina Stein 9.2.2017 ~8 Minuten Lesezeit

„Ein interaktives Event, das die Menschen einbindet…“. So oder so ähnlich werden viele Firmen- oder Mitarbeiterveranstaltungen beschrieben. Der aktuelle Zeitgeist fordert, Menschen aktiv teilhaben zu lassen. Das ist gut. Doch hinter den großen Worten stecken zumeist sehr rudimentäre Ansätze! Ein Workshop von 30 Minuten, thematisch natürlich vorgegebenen. Oder Medientische, die die Inhalte „interaktiv“ vermitteln. Ist das wirklich Partizipation?

Nein, Partizipation ist definitiv mehr! Doch ich verstehe das Problem. Menschen wirklich einzubinden ist ein aufwändiger, anstrengender und vor allem recht unberechenbarer Prozess! Vor allem letzteres, die Unberechenbarkeit, ist vermutlich einer der zentralen Gründe dafür, dass Partizipation und Interaktion bislang mehr Marketing-Buzzwords als Realität sind. Unplanbarkeit existiert in heutigen Managementvorstellungen nicht! Doch wer Menschen wirklich einbinden möchte, muss umdenken, das machte auch das Szenografie Kolloquium 2017 deutlich.

Ausstellung als sozialer Raum

Beim diesjährigen Szenografie Kolloquium ging es um genau dieses spannende Thema. Wie werden Ausstellungen zum sozialen Raum? Das Szenografie Kolloquium konzentriert sich auf Museen und Ausstellungen, doch wie jedes Jahr lassen sich daraus auch interessante Inhalte für die Live-Kommunikation ableiten. Leider konnten wir nicht an beiden Tagen vor Ort sein. Aber schon am zweiten Tag wurde deutlich: Eine einfache Antwort und vor allem, einen einfach Weg hin zur Partizipation, gibt es nicht!


„Chancen und Risiken partizipativer Museumsarbeit“

Sehr spannend und aufschlussreich waren vor allem die Erfahrungen von Martin Düspohl. Er ist Leiter des Friedrichshain-Kreuzberg Museums, einem modernen Heimatmuseum. Ständige und wechselnde Ausstellungen zur Regional- und Stadtteilgeschichte bilden den Kern des Hauses. Neben aktuellen und regionalen Fragestellungen probiert das Team auch unterschiedlichste Formen der Partizipation und Einbindung der Anwohner, ihrer Interessen und Lebensgeschichten aus. In seinem Vortrag erzählte er anhand von Beispielen welche Erfahrungen er zum Thema Partizipation gemacht hat, welche Vorteile und Risiken bestehen und worauf man sich einstellen muss.

Beispiel 1: Annahmen funktionieren selten, und wenn, dann nicht immer so, wie man es sich dachte

Die erste Ausstellung zur Eröffnung des Museums 1990 sollte in erster Linie die im Viertel lebenden Menschen erreichen. Ein erster Kontakt sollte hergestellt werden. Da der Großteil davon damals aus der Türkei stammt, hat man sich ein Thema überlegt, von dem man dachte, es würde die Anwohner interessieren: eine Ausstellung über kalligrafische Arbeiten aus dem osmanischen Reich. Trotz bedeutender Objekte rächte es sich, dass man die Anwohner nicht dazu befragt hatte. Die Ausstellung war ein Flop, niemand kam.

Nach einer Weile kamen überraschenderweise kleine Besuchergruppen in das Museum. Doch sie beschäftigten sich nicht mit der Kalligrafie, sondern mit der Übersetzung der ausgestellten Korantexte. Religionslehrer nutzen die Objekte, um ihren Unterricht und Lehrstoff zu untermalen. Gespräche, Diskussionen entstanden und die unerwarteten Besucher hatten den Eindruck das Museumsteam und andere Besucher über den Islam aufzuklären zu müssen. Broschüren wurden ausgelegt, Gespräche geführt. Doch unter den verbreiteten Meinungen und Ansichten war auch die eine oder andere radikalere Äußerung, was den Berliner Behörden gar nicht gefiel. So mussten nicht nur die Broschüren weichen, sondern auch die unerwarteten Besuchergruppen unterbunden werden.

So hatte man am Ende nicht nur eine Ausstellung, die nicht funktioniert hatte, sondern auch Bewohner, die vermutlich verärgert darüber waren, dass man ihre Beteiligung unterbunden hat. Ungeprüfte Annahmen sind gerade bei partizipativen Projekten ein unnötiges Risiko. Um Menschen zu erreichen, sollte man sich vorab genau über sie informieren, sich mit ihnen austauschen, Interessen erfragen und erst dann Inhalte und ein Projekt planen. Ansonsten erreicht man sie womöglich gar nicht oder nicht so, wie man es eigentlich gedacht hatte!

Beispiel 2: Wer Partizipation will, muss sich darauf einlassen und so manches akzeptieren

In einer weiteren Ausstellung holte man die Bewohner ins Museum. Als Zeitzeugen sollten sie sich und ihr Leben vorstellen. Sie gestalteten kleine Bereiche mit Fotos, Texten, Objekten und subjektiven Eindrücken. Die Gestaltung entsprach nicht unbedingt dem üblichen Anspruch, die Inhalte waren auch geschichtlich nicht immer korrekt, aber die Ausstellung verfügte so über viel Authentizität. Auf Kritik jüngerer Besucher hin, die sich dort nicht abgebildet fühlten, wurden nachträglich Berichte von jüngeren Zeitzeugen ergänzt.

Neben den ausgestellten Objekten sollten auch die Zeitzeugen hin und wieder selbst anwesend sein. Doch die Bewohner kamen plötzlich täglich (30-40 Personen), erzählten jedem ihre Geschichte, brachten Essen und Trinken mit, trafen sich im Museum und verbrachten dort ihre Zeit. Der Bezug zwischen Zeitzeugen und Museumsteam wurde auch immer enger. Und so kam man auch mit alltäglichen Problemen z.B. mit Behörden auf das Team zu.

Klingt zunächst gut, doch auf so etwas ist ein Museum nicht vorbereitet, hat keine passenden und ausreichend großen Räume, Essgelegenheiten und personellen Kapazitäten. Die Ausstellung verselbständigte sich und wurde mehr zum Stadtteiltreff. Trotzdem war sie insgesamt ein Erfolg. Das lag unter anderem an drei Dingen:

1. Wenn man Menschen um Beiträge bittet, bekommt man nicht immer das, was man im Idealfall gerne hätte. Nicht jede Geschichte, die einem Menschen wichtig ist, passt. Nicht jede Gestaltung entspricht den eigenen Vorstellungen. Doch bis zu einem gewissen Grad muss man eigene Vorstellungen oder Ansprüche zurückstellen, um die Teilhabe nicht gleich wieder im Keim zu ersticken.

2. Auch inhaltlich muss man offen bleiben. Nicht alle Aussagen der Zeitzeugen waren geschichtlich korrekt. Besucher kritisierten das. Gleichzeitig führte es aber auch zu Gesprächen! Man muss also den Mut haben Subjektivität und eventuell streitbare Aussagen zu akzeptieren, die letztlich auch positive Effekte haben können.

3. Man sollte flexibel sein und bleiben. Nicht nur während des Entstehungsprozesses, auch danach können sich in der Praxis Fehler, Probleme oder Entwicklungen zeigen, an die man vorher nicht gedacht hat. Gerade bei partizipativen Projekten, die nicht selten etwas Neues (neues Team, neuer Prozess, neue Ideen) ausprobieren, ist das nichts außergewöhnliches! In diesem Beispiel waren die Zeitzeugen teilweise etwas überambitioniert, womit man irgendwie umgehen musste. Zudem hat man jüngere Menschen vorab zu wenig bedacht, worauf man noch während der Ausstellung reagierte.

Trotzdem hat man aus Sicht von Martin Düspohl bei diesem Projekt auch nicht alles richtig gemacht.
Ein Kritikpunkt der Besucherseite war, dass es sowohl inhaltlich als auch bei der Gestaltung an Struktur fehlte. Ganz alleine kann und sollte man die Teilnehmer daher nicht lassen. Eine räumliche, gestalterische, erzählerische Struktur, aber auch Ergänzungen von Fachleuten (in dem Fall historische Fakten) sollten eine Grundlage schaffen bzw. ergänzt werden. Gerade dieser Part bedarf aber viel Feingefühl und auch zeitlichen Aufwand: Man muss vermitteln, unterstützen, sich auch mal anpassen oder etwas umstrukturieren, aber nicht zu viel aufdrängen oder zu sehr beeinflussen wollen.

Interessant ist auch seine Erfahrung, dass man Partizipation immer wieder herstellen muss. Nur weil die Anwohner bei diesem oder einem anderen Projekt beteiligt waren, kamen sie nicht immer von alleine wieder. Man muss sie immer wieder aktiv einbeziehen, ihr Interesse gewinnen, um eine nachhaltige Wirkung zu erreichen.

Vorteile von Partizipation

Wie man hieraus gut erkennen kann, ist Partizipation zeitaufwändig, anstrengend und manchmal auch mühselig. Warum sollte man sich also all die Mühe machen? Für Museen sieht Martin Düspohl drei zentrale Vorteile:

  • Es erleichtert die Genehmigung von Fördergeldern
  • Man gewinnt kostenfreie Helfer und kann Projekte realisieren, die alleine vielleicht nicht zu schaffen wären
  • Das Museum und die erhaltenen Gelder werden von der Bevölkerung legitimiert und besser angenommen

Bis auf die Fördergelder (eventuell) kann man dies wohl auch auf andere Bereiche übertragen. Zusätzliche Helfer, die z.B. bei der Unternehmens- oder Produktentwicklung mitdenken, Ideen, Erfahrungen, ggf. auch Manpower einbringen, sind definitiv ein großer Vorteil. Ebenso ist die Legitimation der Mitarbeiter bei Änderungen oder Innovationen sehr bedeutend für den Erfolg.

Fazit

Partizipation und Interaktion sind weitaus mehr als das, was wir heute in Regel als „interaktive Events“ verkauft bekommen. Vor allem, so scheint mir, möchten viele Veranstalter Interaktion vorab planen, Abläufe und Ziele möglichst konkret festlegen – alles nach eigenen Vorstellungen. Doch das endet in Alibi-Maßnahmen, die nach außen schön geredet werden, aber eher wenig bewirken.

Partizipativen Projekten geht eine ausführliche Recherche voraus, ein intensiver Austausch mit den Teilnehmern, bevor sie konzipiert und geplant werden. Die Veranstalter möchten sich öffnen und lassen auch Entwicklungen zu, mit denen sie nicht gerechnet haben oder die nicht ihren Vorstellungen entsprechen. Sie bleiben flexibel und akzeptieren Subjektivität. Sie wissen, dass man Teilhabe nicht fest planen kann, aber sehr wohl strukturieren und fördern. Nicht zuletzt reicht ein einmaliges, alleinstehendes Event zumeist nicht aus. Echte Teilhabe muss einmal begonnen regelmäßig gepflegt und aktiv fördert werden.

Fotos: Henning Stein / eveosblog.de

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