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Online-Events: „Mir geht der künstliche Hype auf die Nerven.“ – Interview mit Kai Janssen

Von Katharina Stein 5.3.2021 ~5 Minuten Lesezeit

Online-Events und -Erlebnisse haben begeisterte FürsprecherInnen in der Live-Kommunikation. Es gibt aber auch KritikerInnen. Kai Janssen zählt sich als Freier Konzeptioner zu letzteren und scheut sich nicht, das in aller Deutlichkeit zu sagen. Er ist genervt vom künstlichen Hype und der Meinung, dass wir uns dabei selbst belügen.

Die COVID-19 Pandemie feiert derzeit ein bedrückendes Jubiläum: schon ein Jahr hält uns das Virus in Atem! Neben all den negativen Nachrichten und Problemen konnten wir aber auch viel lernen und wurden manchmal überrascht. Wir haben das zum Anlass genommen, verschiedene Menschen aus der Live-Kommunikation nach ihren Erfahrungen und Einschätzungen zu fragen.

Interview mit Kai Janssen über Kritik, Erfahrungen & Meinungen zu Online-Events

Du siehst Dich beim Thema Online-Events eher auf der kritischen Seite. Warum? Was genau siehst Du kritisch?

Kai Janssen: Mir geht der künstliche Hype auf die Nerven. Eine ganze Branche samt Kunden verarscht sich selbst und tut so, als ob digitale Erlebnisse das Live-Tor zur Zukunft sind. Dabei ist Vieles nichts anderes als interaktives Fernsehen mit dramaturgischen Mitteln der 90er. Und auch wenn es angeblich mehr immersive Erlebnisse gibt (auch so ein Bullshitwort), bleibt es beim sinnlichen Erlebnis immer 2:5. Anders gesagt: Was findest du besser? Sex im Internet (2 Sinne) oder in echt (5 Sinne)? Woran erinnerst du dich länger?

Ja, stimmt absolut, die sinnliche Komponente ist bei Online-Events deutlich begrenzter. Das lässt sich mit einem Live-Erlebnis kaum vergleichen. Aber als Beispiele: TV und Theater oder Musik hören und auf ein Konzert gehen existieren ja auch seit Jahrzehnten erfolgreich nebeneinander. Die sensorisch ärmeren Bereiche sind sogar erfolgreicher bzw. verbreiteter, wenn wir ehrlich sind. Denkst Du nicht, dass digitale und analoge Veranstaltungen künftig gut nebeneinander funktionieren können?

K.J.: Klar! Um bei meinem Beispiel zu bleiben: Es gibt ja genügend Leute, denen die erste Variante besser gefällt. Sie ist für den „Gast“ bequemer, teilweise günstiger und sie spart Zeit. Wer auf Effizienz steht, ist hier bestens aufgehoben. Außerdem haben die letzten 12 Monate gezeigt, dass man tatsächlich auf das ein oder andere Live-Event oder eine altertümliche Messe verzichten kann. Das ist ja auch ein Fortschritt! Im Idealfall habe ich die Wahl: Take Five oder Nimm zwei, geh ich hin oder bleib ich zuhause.

Wie schätzt Du denn den Stand derzeitiger digitaler Erlebnisformate ein? Wie gut haben die meisten Deinem Eindruck nach funktioniert? Und haben wir schon eine gute Vorstellung davon, wie Online-Events auch künftig aussehen werden oder müssen wir noch ganz andere Konzepte entwickeln, damit sie wirklich funktionieren?

K.J.: Da geht schon eine Menge. Und wir haben schnell gelernt in den letzten 12 Monaten. Es wird viel experimentiert, gespielt und entwickelt. Es gibt Freiräume für Ungeplantes und Co-Kreation. Gäste vernetzen sich, bevor sie aufeinandertreffen und gestalten Programm und virtuelles Setting in Echtzeit mit. Der Content wird hochwertiger, die Programmpunkte kürzer.

Aber leider begreifen viele Unternehmen nicht, dass diese Qualität auch ihren Preis hat. Viele kalkulieren immer noch: Bei Digital kann ich mindestens die Hälfte an Vorbereitung und Kosten einsparen und trotzdem alles reinpressen, was der Vorstand mir aufgetragen hat. Außerdem wollen sie totale Kontrolle – der Killer für authentische Momente. Erst wenn diese Denke überwunden ist und mutige Konzepte zugelassen werden, können Digital-Events funktionieren. Aber das war ja schon immer so.

Bei aller Kritik. Ist Dir trotzdem ein digitales Erlebnis in Erinnerung geblieben, das Du spannend oder im Ansatz gut fandest?

K.J.: Man findet ein paar gute Clips, meistens kurze Award-Videos im Netz. Ob die wirklich überzeugt haben, ist eine andere Frage. Man sieht ja nur die Höhepunkte. Und nicht, wie die Gäste teilweise 8 Stunden vor dem Screen sitzen und dabei Anderes machen.

Ich habe mir das Billie Eilish Konzert angeschaut – das war schon sehr gut gemacht. Da wurde wirklich Nähe aufgebaut.

Ansonsten war mein schönstes digitales Erlebnis das erstmalige Online-Treffen unseres Extrem-Croquet-Verbands FICA. 9 genervte Männer mittleren Alters, alle gezeichnet von täglichen Dauer-Videokonferenzen und Homeschooling. Trinken einfach nur Bier, vermissen sich und den Sport und kotzen sich aus. Ziel des Events wurde erreicht.

Wie werden Erlebnisse nach bzw. mit Corona aussehen? Was wird sich ändern? Nicht nur im Kontext digitaler Angebote, sondern vielleicht auch seitens der BesucherInnen oder AuftraggeberInnen?

K.J.: Es gibt so viele Möglichkeiten und Ideen zwischen Digital, Hybrid und Live. Da wird es immer mehr und neuartige Schnittmengen geben. Wenn Grenzen verschwimmen und wir nicht mehr in Formaten denken, ist uns allen geholfen. Es kann also nur besser werden!

Vielen Dank für das ehrliche Interview!

 

Kai Janssen ist Freier Konzeptioner und Dozent für Markenerlebnisse sowie Mitgründer des IFAK, Institut für angewandte Konzeption.

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