Artikelbild für: Zukunft inszenieren: Atelier Brückner über Strategien in der Ausstellungsgestaltung

Zukunft inszenieren: Atelier Brückner über Strategien in der Ausstellungsgestaltung

Von GastautorIn 7.2.2023 ~8 Minuten Lesezeit

Wie lässt sich Zukunft ausstellen? Wie Inhalte zukunftsfähig inszenieren? Fragen, die viele SzenografInnen umtreiben – und in enger Verbindung zu aktuellen Herausforderungen und wachsenden Erwartungen stehen. Schließlich leben wir in einer Gegenwart, die sich rasant entwickelt. Die Menschen erwarten von Museen, Ausstellungen und Markenerlebnissen – und somit auch von Gestaltungsbüros – zunehmend eine Antwort auf die vielen komplexen Themen des aktuellen Weltgeschehens.

Dies führt unweigerlich zu der Frage: Wie können sich Museen, Ausstellungen und auch GestalterInnen auf die Zukunft einstellen – und Erlebnisse gestalten, die sich vor allem durch eins auszeichnen: dynamische Veränderbarkeit.

In den meisten Fällen münden solche Aufgaben in neuartigen Ausstellungstypen und können je nach Herangehensweisen, Zielen, Hintergründen oder Ausrichtungen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen und Formaten führen. Wie das Stuttgarter Atelier Brückner sich solchen Aufgaben sowie ihren Konzepten und Szenografien nähert, wie sie mit den aktuellen Veränderungen und Erwartungen umgehen und sich intern für die Zukunft aufstellen, erzählen sie in einem Gespräch.

Gekürzte und leicht veränderte Version eines Gesprächs mit Shirin Frangoul-Brückner, Stefanie Klinge, Britta Nagel, Prof. Eberhard Schlag und René Walkenhorst, geführt von Janina Poesch.

Von den Inhalten zur Emotionalisierung des Raums

Ein anschauliches Beispiel dafür, wie unterschiedlich Zukunftsthemen inszeniert werden können, liefern zwei von Atelier Brückner gestaltete Zukunftsmuseen. Beide Museen könnten nicht unterschiedlicher sein: Während das Zukunftsmuseum des Deutschen Museums in Nürnberg mit realen Lösungsansätzen ein Bild der nahen Zukunft zeichnet und mithilfe von interaktiven Denktouren und Mitmachlaboren zum aktiven Dialog und Handeln auffordert, bietet das Museum of the Future in Dubai emotionale Szenerien einer entfernten Zukunft im Jahr 2071, in die Besuchende dank Storytelling immersiv eintauchen können.

Dass diese beiden Museen in ihrer szenografischen Ausgestaltung so divergieren, ist nicht zuletzt dem Leitsatz des Gestaltungsbüros zu verdanken: „form follows content“ – also der Idee, Gestaltung nicht allein nach funktionalen Gesichtspunkten zu definieren, sondern aus den Inhalten zu entwickeln. Geprägt von Prof. Uwe R. Brückner, wird dieses Motto von den fünf PartnerInnen Shirin Frangoul-Brückner, Stefanie Klinge, Britta Nagel, Prof. Eberhard Schlag und René Walkenhorst weitergeführt.

So erklärt Britta Nagel: „Am Anfang jeden Projekts steht eine genaue Analyse der Inhalte, Geschichten und Informationen, natürlich des Kunden und der bereits vorhandenen oder der geplanten Architektur. Auf Grundlage dessen erarbeiten wir dann ein Konzept, das maßgeschneidert auf diese verschiedenen Gegebenheiten eingeht. Ich denke, das ist auch der Grund, warum unsere Ausstellungen so unterschiedlich sind.

Zudem versuchen wir, die Projekte dialogisch im Team zu entwickeln: In Kooperation werden die Botschaften und Aussagen erarbeitet, die später die Gestalt einer Architektur oder die Dramaturgie einer Ausstellung bestimmen. Das heißt, es gibt nicht einen Wurf, sondern viele Möglichkeiten, Geschichten unterschiedlich zu erzählen. Hierfür haben wir eine Methodik entwickelt, um mithilfe von Alternativen gemeinsam mit unserem Gegenüber das Beste herauszuholen.“

Es gilt tragfähige Begriffe, verborgene gestaltungsrelevante „Bilder“ und inhaltliche Querverbindungen zu recherchieren und einen gemeinsamen Nenner – den „Plot“, als roten Faden – zu definieren, der die Basis jeder Konzeption bildet. Die so entstehende Dramaturgie wird mit gestalterischen Mitteln dann narrativ und sinnlich in den Raum übertragen. Inhalte und Informationen werden zu intensiv erzählten Geschichten, die von den Besuchenden intuitiv, reflexiv oder auch nur spielerisch aufgenommen und verinnerlicht werden.

Um dabei dem unterschiedlichen Nutzerverhalten sowie den individuellen Erlebnisweisen der Museumsgäste gerecht zu werden, werden die RezipientInnen sowie deren Erwartungshaltung, Aufnahmefähigkeit, kognitive Leistungs- und subjektive Wahrnehmungsfähigkeit in den Mittelpunkt aller Überlegungen gestellt. „Wir denken vom Ergebnis her“, bekräftigt Shirin Frangoul-Brückner. „Für uns ist es wichtig, mit unserer Arbeit Zugänge zu schaffen. Und wir stellen uns immer wieder die Frage: Wie können wir die Besuchenden erreichen? Hier verfolgen wir den Ansatz, dass dies am besten über den ersten emotionalen Eindruck gelingt und die räumliche Inszenierung eine der ersten Zugangsebenen ist, die wir den Besuchenden anbieten können“, fügt sie hinzu.

„Mithilfe der Szenografie gelingt es uns, die Menschen zu emotionalisieren und damit ein noch intensiveres Erlebnis zu ermöglichen“, unterstreicht Britta Nagel: „Die Emotionalisierung des Raums ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Wir arbeiten mit Geschichten und probieren auch immer wieder neue Formate aus, die diese Geschichten optimal transportieren. Mal arbeiten wir verstärkt mit Menschen als Kommunikatoren, verzichten vielleicht bewusst auf digitale Medien oder betrachten Dauerausstellungen absolut dynamisch.

Aktuell merken wir, dass wir Museumsräume viel wandelbarer denken müssen: Inhalte entwickeln sich schneller weiter, der Zeitgeist ändert sich und das Rezeptionsverhalten der Besuchenden ohnehin. Dem müssen wir mit unseren jetzigen und auch zukünftigen Formaten Rechnung tragen.“

MOTF – Museum of the Future Dubai | Architektur: Killa Design; Ausstellungen: ATELIER BRÜCKNER | Foto: Daniel Stauch

Die Vielfalt an Formaten wächst, doch ändert das die Methodik?

Die wachsende Hybridisierung und Virtualisierung künftiger Formate schafft zwar neue Möglichkeiten, aber ändert nicht unbedingt alle Herangehensweisen, betont Prof. Eberhard Schlag. „Die Vielfalt an Formaten und Optionen wird immer weiter zunehmen: Neue Technologien, neue Medien, Augmented und Virtual Reality eröffnen uns ganz andere Methoden und eine größere Bandbreite, um Inhalte zu erschließen. Wobei ich nicht glaube, dass sich damit grundsätzlich etwas an unserer Methodik ändern wird, wie wir mit Raum umgehen: Auch ein virtueller Raum ist letztlich ein Raum, der mit unseren Werkzeugen gestaltet und bespielt, der erzählt und choreografiert werden muss.

Das heißt, wir haben auf der einen Seite immer mehr Möglichkeiten, auf der anderen Seite lässt sich aber auch beobachten, dass sich nicht nur das Rezeptionsverhalten ändert, sondern dass auch neue, jüngere Zielgruppen hinzukommen, die ein ganz anderes Erlebnis anstreben, die involviert werden, verstärkt partizipieren und die Dinge nicht nur betrachten, sondern sie diskutieren und weiterentwickeln wollen. Hier muss das Museum vielmehr als Plattform für Austausch und Dialog dienen. Dementsprechend werden sich auch die Räume und damit unsere Arbeit und wahrscheinlich auch die Institutionen selbst verändern.“

Und René Walkenhorst ergänzt: „Für Atelier Brückner ist es nicht primär wichtig, ob wir im physischen Raum oder für das Metaverse gestalten: Für uns ist nicht die Technologie das Hauptaugenmerk, sondern die Art der Inhaltsvermittlung, die wir mit dem Wissen um diese Technologien natürlich anreichern. Die Qualität, in der wir arbeiten, wie wir Inhalte wahrnehmen, sie übersetzen und vermitteln, wie wir mit unseren KundInnen darauf eingehen – all das können wir auf sämtliche Formate anwenden. Dabei werden in Zukunft vor allem die mehrschichtigen, hybriden Möglichkeiten spannend sein.“

Stefanie Klinge komplettiert: „Uns geht es bei unserer Arbeit nicht allein um die Gestaltung von Hülle und Inhalt, sondern darum, Raum als Kontinuum zu verstehen – egal, ob dieser als analoge, hybride oder digitale Welt existiert. Denn auch in medial erweiterten Environments ist doch das eigentlich faszinierende Moment die Extension des eigenen, realen und dreidimensionalen Körpers – eine einzigartige Erfahrung, die wir alle kennen, wenn wir Teil einer Inszenierung werden und diese bestenfalls mit anderen kollektiv und in Echtzeit mitgestalten dürfen. Derartige Konstellationen zu komponieren und diese Möglichkeitsräume körperlicher und kognitiver Begegnung zu erschaffen, ist Herausforderung wie Chance zugleich, der wir uns auch zukünftig annehmen wollen.“

Die Strategie für die Zukunft: Sich auf jedes Projekt komplett einlassen

Wie sich das Atelier nach der 25-jährige Geschichte für die Zukunft aufstellt, beschreibt Shirin Frangoul-Brückner: „Natürlich haben wir Strategien, um uns noch weitere Märkte und Bauaufgaben zu erschließen, aber letztlich können wir sagen, dass es immer unser Ziel bleiben wird, dass wir uns auf anstehende Herausforderungen komplett einlassen und sich unser Team mit Kreativität und Engagement bei jedem Projekt individuell einbringt, um neue Erlebnisformen und wirkungsstarke Inszenierungen zu entwickeln. Ich finde auch spannend zu beobachten, wie Mitarbeitende bei diesem Gestaltungsprozess über sich hinauswachsen, sich extrem weiterentwickeln und sich dementsprechend mit ihrer Arbeit identifizieren können.“

Prof. Eberhard Schlag stimmt zu: „Zweifellos gibt es Projekte wie die oben genannten, die uns die Chance geben, etwas Einmaliges zu schaffen. Aber ich kann auch sagen, dass wir auf jedes einzelne, noch so kleine Projekt, das wir in den letzten Jahren realisiert haben, stolz sind.“

René Walkenhorst pflichtet bei: „Wir sind stolz auf die vergangenen 25 Jahre und blicken energiegeladen in die Zukunft. Ich denke, Szenografie wird sich auf jeden Fall dynamisch weiterentwickeln: Da werden Themen wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Stadtraum eine große Rolle spielen. Wir müssen Markt und Weltgeschehen beobachten und uns, egal was wir tun, unser frisches Denken bewahren. Da helfen uns auch unsere jungen KollegInnen und die Tatsache, dass wir uns immer wieder aus unserem interdisziplinären Team heraus erneuern: Wir schauen alle gerne über den Tellerrand unserer jeweiligen Profession, sind offen für die Sichtweisen Anderer und bleiben dennoch unserem eigenen Wissen und Verstehen treu. Wir sind hungrig darauf, Zukunft mitzugestalten und unsere szenografischen Ideen, Methoden und Haltungen auch auf zukünftige Arbeitsfelder anzuwenden. Das ist unsere Vision.“


» Weitere Artikel & Projekte zum Thema Zukunft

Dieser Artikel hat Dir gefallen?

Abonniere jetzt den kostenlosen eveosblog Newsletter! Erhalte alle 14 Tage die besten & neusten Artikel per E-Mail. Dazu gibt es die Netzlese: Trends und Aktuelles aus dem Internet. Exklusiv nur im Newsletter!

» Newsletter abonnieren
Teile diesen Artikel
– Werbung – Werbeanzeige

Lies diese Artikel als nächstes…