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Digitale Erlebnisse: Die Art der Interaktionen muss präzise gewählt sein – Betty Schimmelpfennig im Eventdesign Jahrbuch

Von Katharina Stein 30.8.2022 ~9 Minuten Lesezeit

Für das aktuelle Eventdesign Jahrbuch 2022/2023 habe ich mit Betty Schimmelpfennig, Co-Founder und Managing Partner bei Elastique. und Professorin für Crossmediale Gestaltung an der Hochschule RheinMain gesprochen. Sie hat bereits vor vielen Jahren begonnen, sich mit analogen und digitalen Erlebnisformen zu beschäftigen. Noch bevor uns die Pandemie dazu gezwungen hat.

Für sie waren nicht alle Projekte, die während der Pandemie bejubelt wurden, tatsächlich immer innovativ. Trotzdem hat der plötzlich überall spürbare Veränderungswille viel bewegt und auch sie persönlich viel gelernt.

Unter anderem, dass manche Kreationsprozesse digital sogar besser funktionieren. Auch den branchenübergreifenden Austausch fand sie sehr gewinnbringend. Die Zukunft von Events sieht sie – mit den Erfahrungen der letzten Jahre – in der geschickten Kombination aus virtuellen und physischen Elementen und dazu passenden präzisen Interaktionskonzepten.

 

Interview mit Betty Schimmelpfennig:
Digitale Erlebnisse und eine Branche im Lernprozess

Aus dem Eventdesign Jahrbuch 2022/23

Bei Elastique. beschäftigt ihr euch schon lange mit den Schnittstellen unserer analogen und digitalen Realität. Die Pandemie hat hier vieles in Gang gesetzt. Wie hast du als thematisch erfahrene Kreative die Zeit erlebt? Hat sie dir neue Ansätze und Konzepte eröffnet?

Betty Schimmelpfennig: Auch wenn es für viele Branchen leider eine sehr bittere und harte Zeit war und wir auch nicht wirklich wussten, wie es für Elastique. laufen würde, haben rückwirkend betrachtet viele Unternehmen sehr wichtige Erfahrungen gemacht. Die Dynamik und der Veränderungswille, die sich in vielen Ebenen der Wirtschaft gezeigt haben, waren beeindruckend. Es wurde lösungsorientiert daran gearbeitet, die Krise zu bezwingen und im Idealfall sogar gestärkt daraus hervorzugehen.

Dabei wurden Konzepte, die beispielsweise in der TV-Branche bewährt sind, auf den Design- und Kommunikationsbereich übertragen. Plötzlich gab es überall digitale Keynotes, die für ihre innovative Machart hoch gelobt wurden. Dabei musste man manches Mal ehrlich sagen, dass es sich im weitesten Sinne um klassische TV-Formate handelt, die man auf den Bereich der Marken- und Produktkommunikation übertragen hat. Spannend wurde es, als diese Formate mit neuen Technologien wie den XR-Stages kombiniert wurden, was wir selber an mehreren Projekten ausloten durften.

Mich lehrt es, dass wir uns viel häufiger branchenübergreifend austauschen und umschauen sollten – denn durch den Einsatz eigentlich gut bekannter Prinzipien in anderen Kontexten kann immer wieder wirklich Neues entstehen – und dies kann Branchen verändern!

Was hast du generell aus den letzten zwei Jahren gelernt? Welche neuen Möglichkeiten haben sich entwickelt und etabliert – und werden uns auch in Zukunft weiterbringen?

B.S.: Wir arbeiten bei Elastique. schon von jeher kollaborativ und interdisziplinär – die stärkere Verlagerung unseres Kreationsprozesses in den digitalen Raum hat unserem Ansatz nochmals mehr Schub gegeben. Da hatten wir dann plötzlich mitten in der Pandemie drei neue Mitarbeitende in Berlin, die wir erst Monate später physisch kennenlernen durften – dennoch sind wir in unserer Kultur verbunden. Jetzt sind es schon fünf Berliner:innen und es ist ein Elastique.-Berlin-Hub daraus entstanden. Wie ich finde, eine wirklich schöne Entwicklung!

Auch in der Arbeit mit Studierenden konnte ich einen großen Paradigmenwechsel beobachten – habe ich doch meine Professur in Wiesbaden während der Pandemie und rein digital angetreten. Dabei wurde mir klar: Manche Kreationsprozesse sind rein digital initiiert deutlich effektiver, schneller und „verbundener“ zu realisieren.

Die Ergebnisse lassen sich merklich besser dokumentieren als an analogen Post-it-Wänden, und diese digitale Arbeitsweise gibt den Studierenden oder Teams viel mehr Möglichkeiten, mit den Ergebnissen weiterzuarbeiten. Das ist eine gute Erkenntnis und ein Gewinn – aber letztlich sind ein persönlicher Austausch, ein echtes Gespräch, eine reale Diskussion durch kein digitales Tool zu ersetzen.

Zukünftig wird es also immer mehr darauf ankommen, verschiedene Ansätze und digital/analoge Arbeitsweisen geschickt zu kombinieren, um inspirierende und innovative Kreationen zu tätigen und dabei auch sinnstiftend im Team zusammenarbeiten zu können.

Ein großes Thema sind sogenannte hybride Formate. Wirklich viele oder gute Lösungen, analoge und digitale Teilnehmende tatsächlich miteinander zu verbinden, gibt es aber noch nicht. Wie könnte das deiner Meinung nach zukünftig aussehen?

B.S.: Was wir nach der Pandemie vor allem durch Events und Treffen physischer Art merken: Das rein Digitale wird die Realität nie ersetzen. Wir sind Lebewesen aus Fleisch und Blut und brauchen den Kontakt zu anderen Menschen. Physisch und direkt. Schon um die Jahrtausendwende gab es Versuche, physischen Stimulus mit Anzügen und Sensoren skurrilster Art zu übertragen – es wirkte immer wie eine Krücke. Diese prinzipiellen Rahmenbedingungen gelten heute noch.

Ich glaube, die emotionale Qualität digitaler Zusammenkünfte wird sich erst dann signifikant steigern, wenn sie unmittelbar wird – also nicht über Brückentechnologien läuft, sondern direkt an unsere Sinne gebunden ist. Langfristig vielleicht über Technologien wie Neuralink, egal ob man solche Entwicklungen befürwortet oder nicht.

Doch bis dahin wird sich das Publikum hybrider Events wohl weiterhin aus zwei Gruppen zusammensetzen: diejenigen, die froh sind, das Geschehen live vor Ort erleben zu können, und diejenigen, die „zugeschaltet“ sind und eher intellektuell durch die vermittelten Inhalte und Interaktionsmöglichkeiten reagieren.

Projekte aus dem Eventdesign Jahrbuch 22/23

Manche sagen, dass wir uns bei Online-Erlebnissen an dem orientieren müssen, was online funktioniert: Derzeit sind das Games. Werden künftige digitale Erlebnisse in diese Richtung gehen?

B.S.: Ich denke, wir sollten generell möglichst viel aus anderen Bereichen lernen und auf Online-Erlebnisse aus dem Kommunikationsbereich übertragen.

Es gibt aber auch über die Jahre hinweg immer wiederkehrende Zyklen: Als wir mit Elastique. gestartet sind, wurden maximal viele Online-Erlebnisse als sogenannte „Webspecials“ extrem spielerisch gestaltet. Damit haben wir in den ersten Jahren unser Geld verdient. Bei der Kommunikation von Marken und Produkten stand das Erlebnis ausdrücklich im Vordergrund – vieles war mit Bewegtbild, Sound und Game-Mechaniken angereichert.

Danach kam allerdings eine Zeit, in der man sich nicht mehr durch komplizierte Storys klicken wollte, um an Informationen zu gelangen. Alles wurde „flat“ und extrem „accessible“. Schnörkellose Informationen. Mit der Öffnung der Game-Technologien von Unity bis Unreal durch WebGL Exporter oder die Pixelstreaming-Technologie schlägt das Pendel nun wieder in die andere Richtung – man will durchaus wieder digital „erleben“.

Worauf es bei digitalen Erlebnissen ankommt: Die Art der Interaktion sollte präzise gewählt sein. Viel zu oft läuft man in der Marken- und Produktkommunikation durch irgendwelche Metaverses, in denen man zu relativ interaktionslosen Besucher:innen verdammt wird, die höchstens herumlaufen und sich Dinge anschauen können. Vielleicht darf man auch ein wenig miteinander chatten oder Tanzmoves ausführen.

Das kann und sollte es aber nicht sein! Denn da müssen wir Gestalter:innen uns zum einen mit der Gaming-Industrie messen. Zum anderen sollten die Interaktionskonzepte ganz präzise so entwickelt werden, dass sie perfekt zu den Inhalten passen, die wir vermitteln wollen.

Und wie viel spannender wird es, wenn wir völlig ungesehene Interaktionen erschaffen, bei denen wir digital interagieren, aber dabei mit der physischen Welt in Kontakt treten, in der sich unsere Interaktionen manifestieren! Und andersherum.

Kannst du ein Beispiel beschreiben, wie die Verbindung von digitalen und physischen Welten aussehen könnte?

B.S.: Wir haben 2021 gemeinsam mit The Game und Journee ein Teilprojekt für BMW bei der IAA realisiert. BMW hatte zu der Zeit sein Metaverse „Joytopia“ gelauncht. Unsere Idee war es, eine Brücke zwischen dem physischen Space von BMW am Max-Joseph-Platz in München und dem Metaverse zu bauen. Konkret: Was wäre, wenn ich mit meiner Hand in das Metaverse hineingreifen könnte und die Hand auf der „anderen Seite“ für die digitalen Teilnehmer:innen aus aller Welt – die dort als Avatare präsent wären – sichtbar würde?

Genau das haben wir umgesetzt. So konnte man als Besucher:in via Leap Motion Sensor mit der eigenen Hand als eine Art „Hand of God“ das Metaverse beeinflussen. Auf der digitalen Seite wurde die Hand zu einer Wolke, aus der man Objekte wie Blitze, Regenbögen, Brezeln, Fischschwärme oder Partikel auf die Avatare im Metaverse herunterrieseln lassen konnte. Zeitgleich konnten Besucher:innen des Metaverse die Person in München sehen, wie sie ihre Hand in den Ring hält.

Was so einfach klingt, war technologisch eine große Herausforderung. Letztlich hat es aber funktioniert und alle hatten großen Spaß an dieser Verbindung der zwei Welten. Die Möglichkeiten dieses „Merge“ werden wir in zukünftigen Projekten noch weiter ausloten!

Du hast es gerade schon angesprochen. Ein anderes, aktuelles Hype-Thema ist das Metaverse. Was denkst du darüber und wird es sich diesmal durchsetzen können?

B.S.: Der Begriff ist meines Erachtens aktuell ein wenig überstrapaziert. Ich glaube schon, dass sich die Qualität unserer digitalen Erlebnisse und unsere Beziehung zu digitalem „Besitz“ signifikant verändern werden. Schauen wir uns doch Kinder an, die von Erlebnissen in Roblox – nichts anderes als ein schon voll funktionales und höchst lebendiges Metaverse – so erzählen, als hätten sie diese in der „analogen Welt“ erlebt. Oder wie wichtig es vielen ist, welche Kleidung ihr Avatar in den verschiedensten Anwendungen trägt.

Was noch vor wenigen Jahren belächelt wurde, wird jetzt „gefühlt“, spielt für viele Menschen tatsächlich eine große Rolle. Entscheiden ist, dass wir aus vergangenen Versuchen lernen und wirklich neue Erlebnisse schaffen.

Viel zu wenig wird von den Erfahrungen in „Second Life“ berichtet – das ja schon damals daran scheiterte, dass keine funktionierenden Lösungen für übergriffige digitale Interaktionen oder Pornografie gefunden wurden. Denselben Problemen sieht sich nun Meta ausgesetzt und diskutiert daher „Safe Zones“.

Das zeigt: Die Ansätze sind nicht neu. Aber nun könnte ihre Zeit gekommen sein, weil Digitalität für uns viel selbstverständlicher geworden ist. Noch spannender finde ich die immer stärkere Verankerung unserer physischen Welt in der digitalen Sphäre. Durch die Blockchains mit Tokens wie NFTs werden viele Besitztümer und Daten im digitalen Raum festgeschrieben. Ich persönlich glaube, dass diese Prinzipen unsere Realität in den kommenden Jahren noch deutlich mehr prägen werden als das Metaverse.

 

Eventdesign Jahrbuch 2022/2023

Autorin: Katharina Stein
Herausgeber: avedition
ISBN: 978-3-89986-376-5
Sprache: Deutsch / Englisch
Erscheinungsjahr: 2022
Seiten: 224

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