Artikelbild für: Szenografie-Kompendium: Was macht einen Raum zum Erlebnis? | Buch-Tipp

Szenografie-Kompendium: Was macht einen Raum zum Erlebnis? | Buch-Tipp

Von Katharina Stein 2.8.2022 ~5 Minuten Lesezeit

Szenografie ist uns allen ein Begriff. Aber was genau macht sie aus? Welche künstlerischen und handwerklichen Teilbereiche lassen einen Raum zum Erlebnis werden? Das Buch „Szenografie: Das Kompendium zur vernetzten Gestaltungsdisziplin“* analysiert diesen Fachbereich in all seinen Facetten und liefert in über 50 Beiträgen praktisches Fachwissen, Einblicke und Tipps.

Auf über 320 Seiten bietet das Szenografie-Kompendium einen umfassenden Überblick: von einer begrifflichen Einführung und Historie, über praxisorientierte Beiträge und kurze Statements von Fachleuten bis zu ausführlichen Listen mit themenbezogenen Magazinen, Büchern, Weiterbildungen, Messen und Institutionen.

Petra Kiedaisch, Janina Poesch und Sabine Marinescu haben ein beeindruckend umfangreiches Nachschlagewerk mit den namhaftesten AkteurInnen der Branche verfasst und ausgearbeitet.

Der Inhalt spannt einen weiten thematischen Bogen: von der Entwurfsplanung, Kuration und Dramaturgie über Exponate, Präsentationsmöbel und Lichtplanung, der visuellen Kommunikation, Event Medialen Erlebnissen, Sensorik, Besucherverhalten und Inklusion bis zu Sicherheit, Zeit- und Projektplanung, Kosten- und Honorarplanung sowie Dokumentation.

» Mehr zum Kompendium und Leseprobe

Die unterschätzteste Regel der Szenografie: Medien sind Botschaften

Einer meiner persönlichen Favoriten unter den Beiträgen kommt von Prof. Ursula Drees von der Hochschule der Medien Stuttgart. Ihr Text analysiert und unterstreicht (zugegebenerweise recht wissenschaftlich) die allseits bekannte und trotzdem oft vergessene Grundregel medialer Vermittlung: Das Medium ist die Botschaft! Dieser Umstand wird auch laut Ursula Drees häufig „eher achtlos behandelt“.

Oftmals werden Medien oder Technologien meinem Eindruck nach aufgrund von aktuellen Trends, Vorlieben, Kosten oder logistischen Aspekten eingesetzt. Eine vertiefende Auseinandersetzung oder inhaltliche Abstimmung findet selten statt. Dabei resultieren aus jedem Medium bestimmte Aktionen und Reaktionen, verändern Wirkungsgrade und die Erlebnisdichte, wie uns Ursula Drees nochmals vor Augen führt.

„Mediale Vermittlung: Die Semiotik von technischen Medien und Botschaften“ von Prof. Ursula Drees

Auszug aus dem Beitrag im Szenografie-Kompendium

[…] elektronische Medien sind soziales Verhalten – und jedes Medium trägt eine eigene DNA in sich, die eigene Kommunikationsarten evoziert.

Welche Medien rufen welche Bewegungen und Reaktionen hervor? Wie ist das Verhältnis Aktion – Interaktion – Reaktion? Wie ist das Medium als solches zu verstehen? Wie ist das einzelne Medium im Gesamtkonzept organisiert und in welchem außersprachlichen Zusammenhang wird der Impuls bzw. die Äußerung getroffen? Erst nach Klärung dieser Fragen finden Inhalte, die über diese Medien gespielt werden, eine Berücksichtigung.

[…] So wird Klang über Kopfhörer anders begriffen als im Raum platzierte Soundscapes. Bilder auf einer großformatigen LED-Wand werden bei mittlerer Rezeptionsdistanz anders aufgenommen als auf einem „Handheld Device“. Diese Techniken beinhalten Aktions-, Interaktions- und Reaktionsmuster. Jede Komponente verändert den Wirkungsgrad des technischen Mediums und als Konsequenz die Erlebnisdichte der Rezipienten. Damit wird die Komplexität der Medienkonzeption innerhalb eines Erlebnisraums verdeutlicht, denn das Narrativ des gewählten Mediums sowie dessen technologische Semiotik gehen über diese drei Ebenen:

– Semiotik des technischen Mediums
– Bestimmung von Aktion – Interaktion – Reaktion des Mediums
– Belegung mit Bedeutung, also Einbindung in eine Narration

[…] Im medialen Erlebnisraum werden lineare Erzählungen dekonstruiert. Sie werden in Technik, Kommunikation und Inhalt auf- und eingeteilt sowie neu gemischt. Diese Mischung wird den Besuchern mit der Absicht präsentiert, dass sie aktivierend und erkenntnisgewinnend Geist und Körper der Rezipienten bewegt. Denn sie sollen aktiv werden, sich  auseinandersetzen, beteiligen und kausale Zusammenhänge begreifen. Sie sollen zwischen den Zeilen lesen und ein eigenes Bild erschaffen. „Zwischen den Zeilen“ bedeutet im medialen Erlebnisraum, dass Besucher Stationen, Warte- und Interaktionspunkte miteinander verbinden und daraus ein Ganzes formen. Sie sollen die Semiotik des technischen Mediums begreifen, sie nicht bewusst analysieren, sondern eher wahrnehmend realisieren. Darüber hinaus sollen sie die Möglichkeiten von Aktion – Interaktion – Reaktion entschlüsseln und sich daran bedienen, um bestenfalls die Narrative und Inhalte zu erkennen und aufzunehmen. […]

[…] Durch eine strukturierte Herangehensweise bei der Festlegung der zu verwendenden Medien über eine Klassifikation der Semiotik dieser technischen Geräte, eine Definition des Kontextes sowie die Art und Weise, wie die Medien im System organisiert sind, werden Folgeschritte möglich: Mit der Erkenntnis des Bedeutungsraums des technischen Mediums können Aktion  – Interaktion – Reaktion bestimmt und das technische Medium informiert werden. Dies führt letztlich zur Belegung der Inhalte, die mit den vorlaufenden Schritten transportiert und mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen werden.

Die Aufmerksamkeit der Rezipienten wird durch ein Zusammenspiel dieser Eindrücke gelenkt. Dabei handelt es sich um ein ganzkörperliches, holistisches Erleben – die Erzählung findet nicht nur in der Geschichte statt, sondern die Medien selbst erzwingen ein festgelegtes Narrativ. Der „Event Mediale Erlebnisraum“ ist immer ein körperlicher: nicht nur körperlich in der Erfahrung der Rezipienten, sondern auch körperlich in der Präsentation. Es ist ein gebauter Raum, eine vollständige Einheit aus Objekten – seien sie analog, haptisch, digital oder virtuell. Sie sind im Raum und damit eine inszenierte erweiterte Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit kann nicht verändert werden: Baufehler, Anordnung, Inhalte, Narrationsweisen oder Technologien sind nicht kurzfristig umgestaltbar. Diese räumlichen Inszenierungen erzwingen also Konzepttreue, eine bindende Auswahl der Medien sowie der jeweiligen Narrationsarten.

„Event Mediale Erlebnisräume“ sind damit ein Vorgriff auf das Holodeck. Hier werden die Spielarten der Aktions-, Interaktions- und Reaktionsmöglichkeiten intensiviert – und darin liegt die Zukunft.

 

» Das Szenografie-Kompendium bestellen*

» Weitere Artikel & Projekte rund um Szenografie

 

*Affiliate Link: Danke für Deine Unterstützung.

Dieser Artikel hat Dir gefallen?

Abonniere jetzt den kostenlosen eveosblog Newsletter! Erhalte alle 14 Tage die besten & neusten Artikel per E-Mail. Dazu gibt es die Netzlese: Trends und Aktuelles aus dem Internet. Exklusiv nur im Newsletter!

» Newsletter abonnieren
Teile diesen Artikel
– Werbung – Werbeanzeige

Lies diese Artikel als nächstes…