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Beme: eine App gegen den Selbstinszenierungs-Wahn? Und warum der Hype trotzdem nervt & nur bedingt hilft!

Von Katharina Stein 30.7.2015 ~6 Minuten Lesezeit

Die neue Beme App von Casey Neistat ist mal wieder eines dieser Netzphänomene, das spannend zu beobachten ist. Vor weniger als zwei Wochen hat der Filmregisseur und Designer ein Video über seine neue App veröffentlicht. Sprich sie ist gerade mal seit dem 17. Juli 2015 verfügbar und schon jetzt stürzen sich alle wie im Wahn darauf. Die einen voller (überspitzter?) Begeisterung, die anderen voller Argumente, warum sie unnütz ist. Etwas dazwischen scheint es nur noch selten zu geben.

Beme ist wieder die nächste Dosis Hype. Leider! Menschen reißen sich um die begrenzten Zugangscodes, manche wurden sogar für über 70 Dollar auf Ebay angeboten. Ich weiß nicht, wann genau wir auf dem Entwicklungsweg des Internets das Verhältnis zu Emotionen verlernt und diese manischen Züge entwickelt haben, aber, ich finde, wir können neuen Entwicklungen und Ideen ruhig etwas gelassener begegnen und nicht regelmäßig solche Hypes produzieren.
Warum?

Weil ein Hype zum einen überhöhte Erwartungen und mit ihnen oft unnötige Enttäuschungen produziert sowie die Entwickler enorm unter Druck setzt. Weil uns zum anderem nach dem Rausch der Hype-Kater fast immer einholt. Dann sind alle müde, erschöpft oder genervt und auf einmal wird es sehr ruhig um die neue App (oder was auch immer). Dabei brauchen die Entwickler gerade dann die Ausdauer der Nutzer. Ein Phänomen, das auch Gunter Dueck in seinem Buch „Das Neue uns seine Feinde“ beschreibt. Das schwierigste für Gründer kommt – sicher auch aufgrund unseres schnelllebigen Konsums – erst nach dem Hype, wenn sie ihr Produkt verbessern, weiterentwickeln und dann irgendwie aus dem Medienloch raus und Menschen erneut und dauerhaft erreichen müssen.

Ich möchte aber keine kurzlebigen, sondern durchdachte Produkte, die einen Sinn haben oder vielleicht sogar die Welt ein wenig verbessern. Aber selten sind diese Ideen von Anfang an perfekt, sie brauchen Zeit und eben auch die Geduld und Ausdauer der Nutzer – und nicht nur einen kurzen und oft nervenden Hype. Vor allem wenn die Ideen aus kleinem Hause kommen – wobei ich in diesem Fall nicht viel über den finanziellen Hintergrund weiß!

Daher finde ich, wer die (oder eine andere) Idee gut findet oder gerne mehr Alternativen für Facebook & Co. hätte, sollte dran bleiben und dabei helfen etwas Dauerhaftes daraus zu machen, sich freuen, aber auch auf dem Boden bleiben – und sie nicht jetzt gleich zerreden, sich von Hypern nerven lassen oder nach dem Rausch wieder vergessen.

So viel dazu :) Kommen wir jetzt zur App, solltest Du sie vielleicht noch gar nicht kennen!

Was ist Beme?

Mit Beme möchte Casey Neistat ein alternatives soziales Netzwerk ohne all die Selbstinszenierungs-Mechanismen anbieten. Normalerweise werden Bilder, Videos und Selfies mit Filtern oder etlichen Versuchen bis zum Höchstmaß aufgehübscht, bis sie mit der Realität manchmal nicht mehr viel zu tun. Beme soll aber die Realität abbilden. Deswegen gibt es keinerlei Kontroll- und Veränderungsmöglichkeiten. Selbst der Blick auf das Display ist nicht möglich. Die 4 Sekunden langen Videos werden aufgenommen indem man das Handy vor die Brust oder einen Finger vor den Näherungssensor hält. Nach der Aufnahme geht das Video direkt und ungefiltert online.

Ein Vorteil auf diese Art Videos aufzunehmen ist, dass man selbst besondere Moment nicht mehr verpasst, weil kein Handy im Blickfeld ist! Vielleicht werden die aufgenommenem Momente so auch für den Nutzer wieder ein echtes Erlebnis, da er sie trotzdem live und nicht nur durchs Handy miterleben kann.

Likes oder Shares gibt es bei Beme auch nicht. Wer auf Videos reagieren möchte, kann dies mit einem spontanen Selfie – am besten natürlich mit entsprechender Emotion während man das Video schaut. Keine anonymen Zahlen, sondern echte Menschen, die sich freuen und lachen!

Nicht zuletzt verschwinden die Videos nachdem man sie einmal angeschaut hat – ähnlich wie bei Snapchat. Eine künstliche Verknappung, die einerseits so manche Fehlveröffentlichung vielleicht etwas mildert. Andererseits werden die Videos, so wie im realen Leben, zu einem nur einmal erlebbaren Moment.

Häufige Kritikpunkte

Zentrale Kritikpunkte sprechen unter anderem rechtliche Aspekte an. Der Nutzer sieht nicht, was er alles filmt und könnte dabei auch Rechte anderer verletzen oder es vielleicht auch selbst im Nachhinein bereuen. Stimmt! Wobei sich viele auch bei Kontrollmöglichkeiten selten wirklich Gedanken darüber machen.

Von Seiten der Werber-Magazine kommt auch schon der Einwand, dass Beme nicht als Marketingkanal für Firmen geeignet ist – weil unkontrollierbar, kein Corporate Design, keine Verbreitung der Inhalte möglich etc. Mag sein. Aber, na und? Eher ein Argument dafür als dagegen – und damit vielleicht auch ein deutliches Zeichen in selbige Richtung!

Ein anderer zentraler und oft diskutierter Aspekt ist die Frage: Ist das echte, ungefilterte Leben zu langweilig? Hat der ganz normale Mensch mit einem ganz normalen Alltag dann nichts mehr, was er im Netz zeigen kann? Vielleicht! Vielleicht konzentrieren sich Menschen künftig aber auch mehr auf wirklich besondere Momente?! Oder die App erinnert uns so daran, dass wir lieber etwas wirklich Cooles und Reales erleben sollten – und es nicht nur für andere so aussehen lassen?! Aber vielleicht stimmt diese Befürchtung auch. Dieser Punkt muss sich, denke ich, erst in der Praxis herausstellen – wir wurden ja schon oft genug überrascht.

Ich persönlich hoffe, dass sich nicht nur Beme, sondern vor allem die Einstellung dahinter durchsetzt. Denn mir scheint, mit dem aktuellen Zeitgeist inszenieren wir uns uns zu Tode – um Neil Postmans Aussage zu missbrauchen. Nicht wenige Menschen übernehmen die Form der (Selbst)Inszenierung, die bei Instagram oder Facebook vielleicht nur Freude an Ästhetik ist, in die gesamte Lebensrealität – und das ist nicht gut!

Foto: Screenshot aus dem Video

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